Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 14

zm 109, Nr. 14, 16.7.2019, (1614) (Fleisch, Obst, Gemüse) werden oft ver- mieden und durch weiche, meist kohlen- hydrat- und zuckerhaltige Speisen ausge- tauscht. In Kombination mit beispielsweise einem reduzierten Speichelfluss entsteht daraus ein höchst kariogenes Milieu, was eine weitere Verschlechterung der Gesamt- situation bewirken kann. Zudem werden weniger Vitamine und Proteine aufgenommen – mit oben genannten Folgen [Marshall et al., 2002]. Interessanterweise ist der reduzierte Zahn- bestand an sich wenig mit einer Mangel- ernährung assoziiert. Vielmehr scheint eine allgemein reduzierte Patientenzufriedenheit eine Rolle zu spielen. Diese ist vor allem mit der reduzierten Fähigkeit Nahrung aufzu- nehmen, einer gefühlten Einschränkung bei der Nahrungsauswahl sowie der Unfähigkeit klar zu sprechen assoziiert [Wu et al., 2018]. All diese Faktoren könnten beispielsweise durch einen schlechten Sitz von Zahnersatz oder das Vorhandensein von Schmerzen an Schleimhäuten oder Zähnen ausgelöst wer- den. Dem Erhalt der Zähne und der Anferti- gung von gut sitzendem Zahnersatz, der regelmäßigen Kontrolle der Zähne und des Zahnersatzes und dem frühzeitigen Ein- greifen beim Auftreten von intraoralen Ein- schränkungen kommt daher eine ganz er- hebliche Bedeutung in der Prävention nicht nur im Hinblick auf die Mundgesundheit, sondern auch in Bezug auf die Mangel- ernährung zu. Zudem sollte der Zahnarzt immer hellhörig werden, wenn die Mund- hygiene sich plötzlich deutlich verschlechtert. Das kann auf manuelle Beeinträchtigungen, aber auch auf kognitive Defizite hindeuten. Beides kann ebenfalls dazu führen, dass die Nahrungsaufnahme eingeschränkt wird, sei es durch die fehlende manuelle Fähigkeit, die Nahrung zuzubereiten oder zum Mund zu führen, oder sei es, dass die geistige Kompetenz keinen strukturierten Tages- ablauf mehr zulässt. Eine alleinige Rehabilitation der oralen Si- tuation bewirkt in vielen Fällen jedoch keine nachhaltige Veränderung der Ernährungs- situation. Hier müssen im Rahmen von Ernährungsberatungen die Senioren an die nun wieder verzehrbare Kost herangeführt werden, um langfristig eine vollwertige Ernährung sicherzustellen [Kossioni, 2018; Banerjee et al., 2018]. Ist eine vollständige Rehabilitation nicht möglich, dann sollte in der Ernährungsberatung dennoch die Viel- falt bei der Wahl der Nahrungsmittel im Vordergrund stehen, gegebenenfalls dann lediglich mit angepasster Konsistenz (beispielsweise gekocht statt roh). Trink- nahrung soll nur in Ausnahmefällen verab- reicht werden, wenn zum Beispiel eine stark eingeschränkte Mundöffnung vorliegt oder bei vollständigem Verlust der Kaufähigkeit – eine suffiziente Schluckfähigkeit voraus- gesetzt. Schluckstörung Abgegrenzt werden ösophageale von oro- pharyngealen sowie neurologische von nicht neurologischen Schluckstörungen (Dysphagie). Verschiedene neurologische Erkrankungen wie die Demenz, Morbus Parkinson oder Folgen eines Schlaganfalls bewirken regelhaft Dysphagien. Aber auch Motilitätsstörungen des Ösophagus, beispielsweise bei einer Achalasie, oder Verlegungen im Ösophaguslumen durch Tumoren können zu Störungen des Schluck- vorgangs führen. Zwischen 27 und 91 Pro- zent der über 70-jährigen leiden entweder zeitweilig oder dauerhaft an Schluckstörun- gen [Ortega et al., 2017]. Die meisten Patienten, die an einer Schluck- störung leiden, meiden zunächst die Nah- rungsaufnahme, was zu einer Mangel- ernährung führen kann. Vor allem im Fall einer oro-pharyngealen Schluckstörung werden von vielen Patienten Flüssigkeiten vollständig gemieden, da diese unkontrol- liert noch vor Auslösung des Schluckreizes in die Luftröhre fließen können. Dieses Ver- halten kann über kurze Zeit zur Exsikkose führen, mit den oben genannten Proble- men. Neben Mangelernährung ist für diese Patienten die Aspirationspneumonie, ausge- löst durch das regelhafte Einatmen von Nahrungs- oder Getränkebestandteilen so- wie Speichel, ein großes gesundheitliches Risiko. Für den Zahnarzt bedeutet diese Er- krankung, dass bei der Routinebehandlung besonders gut auf ein suffizientes Absaugen von Flüssigkeiten, auch beim Arbeiten unter Kofferdam, geachtet werden muss. Prof. Dr. Nadine Schlüter • 2002: Abschluss des Studiums der Zahnmedizin an der Georg- August-Universität Göttingen; Erhalt der zahnärztlichen Approbation • 2004: Promotion zur Dr. med. dent. • 2002–2011: wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Justus-Liebig- Universität Gießen, Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Präventive Zahnheilkunde • 2011–2015: Oberärztin an der Justus-Liebig-Universität Gießen, Poliklinik für Zahnerhaltungskunde und Präventive Zahnheilkunde • 2012: Forschungsaufenthalt an der Universität Bern, Klinik für Zahnerhaltung, Präventiv- und Kinderzahnmedizin • 2012: Habilitation, Justus-Liebig- Universität Gießen • 2015: Ruf auf die W3-Stiftungs- professur für Kariesforschung an die Albert-Ludwigs-Universität Freiburg • Seit 2015: Universitätsprofessorin und Leiterin des Bereichs Kariologie an der Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Klinik für Zahnerhaltungs- kunde und Parodontologie • 2018/2019: Curriculum Grund- versorgung Geriatrie (Fortbildung gemäß Curriculum der Bundes- ärztekammer, BÄK) Foto: privat 68 Fortbildung Ernährung und Mundgesundheit

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