Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17
zm 109, Nr. 17, 1.9.2019, (1811) Ich profitiere von diesen Dingen enorm, weil ich nicht nur dieses begrenzte Denken und Fühlen auf dem Zahnarztstuhl erfahre, sondern durch andere Menschen inspiriert werde, auf andere Themen komme und Sachverhalte über den Tellerrand hinaus be- trachten kann. Das ist es auch, was die euro- päische und internationale Arbeit ausmacht: Dass man lernt, die ureigensten deutschen Probleme loszulassen, und durch die Er- kenntnisse aus anderen Ländern lernt, die eigenen Probleme zu relativieren. Und damit auch das deutsche Gesundheitssystem in einen anderen Kontext setzen kann. ? Das ist sicherlich ein Punkt, der mehr junge Kolleginnen und Kollegen motivieren könnte, sich standes- politisch zu engagieren, oder? Ich würde allen Kolleginnen und Kollegen empfehlen, nicht nur ihre eigene Praxis zu sehen, sondern so viel Erfahrung zu sammeln wie möglich – sei es im direkten Umfeld, über Stammtische, Kongresse, standespolitische Aktivitäten, national, europäisch oder inter- national. Das weitet den Horizont und ver- ändert den Blickwinkel. Das ist so, als ob man bei einem Hühnerhaufen auf den Zaun steigt, statt immer mit den Hühnern mitzu- laufen. Die Beobachterperspektive ist häufig sehr hilfreich. ? Was ärgert Sie persönlich am meisten? Unehrlichkeit und Intrigantentum. ? Und wofür sind Sie in Ihrem Leben am meisten dankbar? Für all die Erfahrungen, die ich bisher er- leben durfte, im Positiven wie imNegativen, ja, auch im Negativen. Denn das Negative formt einen Menschen am meisten. Nur positive Erlebnisse machen satt, behäbig und überheblich, sie lassen einen am „Was ist“ kleben. Und sie verhindern, die Gedan- ken in die Zukunft zu richten. ? Wie beurteilen Sie unter diesen Gesichtspunkten die gesundheits- politischen Entwicklungen der ver- gangenen Jahre – auch in Bezug auf die Berufsausübung der Zahnärzte? Durchaus negativ. Selbst- und Eigenverant- wortlichkeit werden vom Staat überhaupt nicht gewünscht. Für den zahnärztlichen Berufsstand heißt das, dass unsere Verant- wortung dem Patienten gegenüber, unsere fachliche Weisungsunabhängigkeit und unser Können von der Politik immer stärker beschnitten werden. Wir werden immer mehr zu Marionetten einer reglementierten Bürokratie. Der Patient ist nur noch eine Randerscheinung, im Prinzip dreht sich alles um Kosten. Das ist eine Entwicklung, die der Freiberuf- lichkeit und den Freien Berufen generell nicht gut tut. Wir haben es mit Entmündi- gung, Schwächung der Selbstverwaltung sowie wachsenden Vorgaben und Regel- mechanismen zu tun. Damit einher geht auch eine Schwächung des Mittelstands, daraus folgt eine Schwächung der poli- tischen Stabilität, für die der Mittelstand immer gestanden hat. Und wenn diese Säule wegbrechen sollte, sehe ich das als sehr dramatisch an. ? Dann sehen Sie also nicht so zuversichtlich in die Zukunft? Zurzeit nicht. Wir Zahnärzte stellen fest, dass die Vorgaben durch den Staat zuge- nommen haben. Und dass damit das, was mein Amtsvorgänger Jürgen Weitkamp als Versozialrechtlichung bezeichnet hat, immer stärker geworden ist. ? Eigentlich eine düstere Perspektive, auch für jüngere Kollegen … Nun, das ist eine persönliche Momentauf- nahme – und Herausforderung der Stunde. Das sollte aber keinesfalls in Verzweiflung und Resignation münden. Die Erkenntnis, die man daraus gewonnen hat, sollte uns nicht stop- pen, uns gegen diese Entwicklungen zu be- haupten und immer wieder für die Werte zu kämpfen, die wir als gut erachten. Wir müs- sen uns den Zeichen der Zeit entsprechend stellen, und damit auch die jüngeren Kol- legen – unsere Nachfolgergeneration – mit- nehmen. Wenn das nicht erfolgt, wird es uns aufgrund der erheblichen Strukturver- änderungen nicht gelingen, die Profession in eine prosperierende Zukunft zu bringen. Deshalb ist es mir sehr wichtig, dass wir die Bedürfnisse und Bedarfe der jungen Genera- tion erkennen und junge Kolleginnen und Kollegen verstärkt einbinden. Sie haben andere Bedürfnisse bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf. Das hängt auch, aber nicht nur, mit der Feminisierung des Berufs- stands zusammen. Anstellung wird interes- santer, wir brauchen neue Kooperations- formen, die Niederlassung erfolgt später. BZÄK-Bundesversammlung 2008: Dr. Dr. Jürgen Weitkamp gratuliert seinem Amts- nachfolger zur Wahl. Foto: Pietschmann-zm „Es ist eine besondere Gabe, anderen zuzu- hören und herauszufinden, wo die Anliegen und Probleme beim Gegenüber sind.“ Foto: Lopata 25
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