Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 109, Nr. 17, 1.9.2019, (1824) Es besteht kein Zweifel, dass die durch- schnittliche Qualität und Haltbarkeit den- taler Implantate in den vergangenen Jahr- zehnten deutlich gestiegen ist – nicht zu- letzt dank werkstoffkundlicher, instrumen- teller und operativ-technischer Fortschritte. Auch günstigere klinische Rahmenbedin- gungen und zusätzliche Behandlungsoptio- nen (zum Beispiel einzeitige Implantatver- sorgung, minimalinvasive und lappenlose Chirurgie, Miniimplantate) haben zu diesem Erfolg beigetragen. Doch die zunehmenden und verbesserten Möglichkeiten haben auch zu einer Erweite- rung – und bisweilen zu einer Überdehnung – der Indikationsstellung geführt. Weitere He- rausforderungen bieten die Aufklärung be- ziehungsweise die Wahrung der Patienten- autonomie sowie die Zuschreibung von Ver- antwortung bei komplexen, arbeitsteiligen Behandlungssituationen. Auch die zum Teil unbefriedigende Evidenzlage sowie die Ab- schätzung von (und der Umgang mit) kli- nischen Komplikationen und Spätfolgen stellen potenzielle Probleme dar (Tabelle 1). Herausforderung 1: Indikationsstellung In der Literatur finden sich Hinweise, dass die Indikation zur Implantation zunehmend breiter gestellt wird und dass die Implantat- versorgung mit einer Abnahme der Bereit- schaft zum Zahnerhalt einhergeht [Klinge et al., 2015; Lang-Hua et al., 2014; Chandki und Kala, 2012]. Primär widerspricht es dem Nichtschadens- gebot, einen prinzipiell erhaltungswürdigen Zahn zu opfern. Insofern sollte auch bei jedem erkrankten Zahn zunächst eine Ab- wägung und eine Einzelfallentscheidung er- folgen. Neben den konkreten fall- beziehungs- weise zahnbezogenen Erfolgsaussichten sind hierbei auch strategische Aspekte in die Ent- scheidung einzubeziehen. So hat der Erhalt bei einem Zahn, der als Brückenanker fun- giert, eine andere Relevanz als bei einem Einzelzahn ohne strategische Funktion. Ökonomische Erwägungen sollten medizi- nischen (Möglichkeit des Zahnerhalts) und ethischen Überlegungen (Nichtschadens- gebot) grundsätzlich nachgeordnet werden [Zitzmann et al., 2013; Hasegawa und Matthews, 1995; Hartshorne und Hasegawa, 2003; Tuna et al., 2018a und 2018b]. Jed- wede implantatgestützte Therapie bedarf somit einer sorgfältigen, kritischen Indikations- stellung – dies umso mehr, als Implantatver- sorgungen in der Regel vergleichsweise in- vasiv sind, häufig eine lange Behandlungs- dauer erfordern und überdies zu den kostenintensiveren Therapiemöglichkeiten gehören [Vogel et al., 2013]. Andererseits sind implantatgestützte Ver- sorgungen häufig komfortabler, oft funk- tioneller und zum Teil auch ästhetisch be- friedigender als restaurative Behandlungs- optionen. Insofern sind sie grundsätzlich eine sehr willkommene Erweiterung des Ethische Herausforderungen in der Implantologie Zahnimplantate – Boom ohne Grenzen? Karin Groß, Mathias Schmidt, Dominik Groß Implantate sind aus der Zahnheilkunde nicht mehr wegzudenken. Sie liefern bei vielen Patienten sehr gute funktionelle Ergebnisse, verbessern häufig auch die Ästhetik und Phonetik und stärken so zugleich das Selbstbewusstsein der Betroffenen. Doch wie jede Therapieoption haben sie Grenzen, und wie jede Behandlungsform bergen sie Fallstricke – Aspekte, die im Folgenden einer ethischen Betrachtung unterzogen werden sollen. Abbildung 1: Fehlpositionierung eines Implantats im Interdentalraum Foto: Taskin Tuna 38 Zahnmedizin

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=