Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17
zm 109, Nr. 17, 1.9.2019, (1830) Abbildungen 4 und 5: Über- und Fehlversorgung eines Falles des Patienten (Hilfestellung durch Betreuer, Familienangehörige, emotionale Verwandte) auszuloten und gegebenenfalls zu mobili- sieren und dem Patienten auf diese Weise zu mehr Selbstwirksamkeit zu verhelfen (Patient- Empowerment). Auch hierfür lässt sich eine Schlüsselfrage formulieren: Ist der Patient in der Lage, den Gang zum Zahnarzt selbst- ständig zu beschließen und umzusetzen oder kann er alternativ auf ein soziales Um- feld zurückgreifen, das ihm regelhaft die er- forderlichen Zahnarztbesuche – ad hoc wie auch in absehbarer Zukunft – ermöglicht? (Tabelle 3) [Nitschke et al., 2012] Herausforderung 3: Arbeitsteilung und komplexe Behandlungssituationen Die chirurgische Platzierung von Zahn- implantaten, das heißt die eigentliche Im- plantation, und die nachfolgende prothe- tische Versorgung dieser Implantate liegen nicht immer in einer Hand, sondern werden zum Teil von zwei verschiedenen Behand- lern durchgeführt. Eine solche Arbeitsteilung hat durchaus Vorzüge: Aus der Allgemein- chirurgie wissen wir, dass Operateure mit großer Behandlungsroutine (hohe Fallzahlen pro Jahr) signifikant bessere Ergebnisse er- zielen [Halm et al., 2002]. Doch geteilte Zuständigkeiten bergen auch Fallstricke: Wenn die Implantation und die nachfolgende prothetische Versorgung nicht gemeinsam geplant oder zumindest aufeinander abgestimmt werden, stellen sich im Fall eines ungünstigen Endresultats (Behandlungsfehler-Vorwurf) Fragen der Ver- antwortlichkeit. Man denke etwa an einen Fall, in dem ein Fachchirurg Implantate setzt, die aus Sicht des Implantatprothetikers falsch positioniert sind (Abbildungen 1, 2, 4, 5 und 6). Letzterem bleibt nur die Wahl zwischen der Ablehnung der Weiterbehand- lung und der Empfehlung einer aufwendi- gen und substanzverlustträchtigen Revision der Implantate (beides mutet dem betroffe- nen Patienten einiges zu) oder einer „Kom- promissbehandlung“ mit dem Ziel, die invasive Revision der gesetzten Implantate abzuwenden und so den Schaden für den Patienten zu begrenzen. Heikel wird es insbesondere dann, wenn der Prothetiker in bester Absicht eine solche Kompromiss- behandlung wagt, diese sich aber als nicht alltagstauglich erweist und der Patient schlussendlich Klage erhebt. Hier kann es unter Umständen schwerfallen, die Verantwortung zuzuweisen: Liegt die Schuld beim Chirurgen, der die Implantate an ungünstiger Stelle gesetzt hat, oder beim Prothetiker, der sich nolens volens auf diese Situation eingelassen und ein letztlich unzu- reichendes Behandlungsergebnis erzielt hat? Aus fachlicher und ethischer Sicht ist die eigentliche Ursache für das insuffiziente Behandlungsergebnis beim Chirurgen zu suchen. Juristisch gesehen trägt dagegen je- doch der Implantatprothetiker die unmittel- bare Verantwortung für das Behandlungs- ergebnis, da er die insuffiziente Supra- konstruktion geplant und eingegliedert hat. Rechtlich verhängnisvoll wird dieses Vor- gehen insbesondere dann, wenn er den Pa- tienten nicht explizit über den Kompromiss- und Versuchscharakter seiner Versorgung aufgeklärt hat oder das Aufklärungsgespräch und das Einverständnis des Patienten zur eigenen juristischen Absicherung nicht sorgsam dokumentiert hat. Herausforderung 4: Unzureichende Evidenz Aus der empirischen, auf persönlicher Erfah- rung beruhenden Zahnmedizin ist in den vergangenen Jahren eine evidenzbasierte Heilkunde geworden, die darauf abzielt, jeden (zahn-)ärztlichen Patienten auf der Basis der besten verfügbaren (klinischen) Daten zu versorgen. Allerdings ist das Evi- denzniveau in vielen Bereichen der Zahn- medizin noch eher niedrig [Antes und Türp, 2013; Vollmuth und Groß, 2017]. Dies trifft auch auf die noch junge Teildisziplin der dentalen Implantologie zu – auch deshalb, weil es nicht den einen anerkannten Gold- standard gibt, gegen den getestet wird, sondern zahlreiche verschiedene Systeme und vom individuellen Behandler abhängige therapeutische Präferenzen. Während es für einzelne, bereits lange amMarkt befindliche Implantatsysteme erste Verlaufsstudien über Zeiträume von bis zu 30 Jahren gibt, man- gelt es bei anderen Produkten an (Langzeit-) ergebnissen. Vor dem Hintergrund dieser Fotos: Stefan Wolfart 44 Zahnmedizin
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