Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 17

zm 109, Nr. 17, 1.9.2019, (1832) Diversität kann es nicht überraschen, dass die verfügbaren klinischen Studien oft schwer vergleichbar sind. Hinzu kommt, dass nicht wenige Studien nur geringe Fall- zahlen bieten. Zudem wird die Produkt- palette von den Herstellern oft in kurzen Zeitzyklen verändert; dementsprechend kommt es nicht selten vor, dass sich die Er- gebnisse der wichtigen (Langzeit-)Studien auf Produkte beziehen, die zum Zeitpunkt der Veröffentlichung der Studie so nicht mehr verfügbar beziehungsweise bereits durch Nachfolgemodelle ersetzt worden sind. Dies schränkt die Aussagekraft der Er- gebnisse maßgeblich ein [Groß, 2019]. Mit dem hochfrequenten Wechsel der Produkte steht generell die Frage im Raum, ob man unter diesen Bedingungen überhaupt zu soliden Langzeitergebnissen kommen kann. Zu den Problemen der Evidenzgenerierung gehört auch, dass die Durchführung kli- nischer Studien bisweilen auch durch zum Teil unverhältnismäßige administrative und datenschutzrechtliche Hürden erschwert wird [Groß et al., 2018]. All dies hat Implikationen: Zahnärzte möchten die eigene Tätigkeit am Wohl des Patienten orientieren und diesem nach bestemWissen den größtmöglichen Nutzen verschaffen (Benefizienz-Prinzip). Je niedriger das Evidenz- niveau ist, desto schwerer fällt es jedoch, diesem ethischen Prinzip zu entsprechen. Herausforderung 5: Klinische Komplikationen und Spätfolgen Mit der zunehmenden Etablierung der Im- plantatversorgung wuchs und wächst auch das klinische Wissen um mögliche Risiken, Nebenwirkungen, Komplikationen oder Spätfolgen [Wolfart et al., 2011; Anonymus, 2018]. Komplikationen und Spätfolgen können mechanische, technische oder bio- logische Ursachen haben, wobei in der jün- geren Literatur gerade der Periimplantitis besondere Aufmerksamkeit geschenkt wird [Derks und Tomasi, 2015; Tarnow, 2016; Gaudio et al., 2018]. Die Angaben zur Prä- valenz von periimplantärer Mukositis und periimplantärer Entzündung schwanken hierbei zwischen 20 und 65 Prozent, was sich wohl auch dadurch erklärt, dass die Definition von Periimplantitis in den jeweili- gen Studien uneinheitlich ist. In jedem Fall stellen Periimplantitis und -mukositis häufige Nebenwirkungen dar, die entsprechenden Nachsorgebedarf nach sich ziehen und zudem Risiken für die Langzeitstabilität der Suprakonstruktionen bergen. Auch mecha- nische und technische Komplikationen spie- len eine Rolle (Tabelle 3). Aus ethischer Sicht kommt daher der Risikoabschätzung eine besondere Bedeutung zu – und diese muss wiederum Einfluss auf die Indikations- stellung nehmen. Ähnliches gilt für die früh- zeitige Feststellung und Nachsorge von komplizierten Verläufen. Schlussfolgerung Dentale Implantate sind eine unverzichtbare Therapieoption. Sie erhöhen den klinischen Handlungsspielraum der Behandler, steigern in vielen Fällen die Versorgungsqualität und genießen bei den Patienten eine zunehmende Akzeptanz. Umso wichtiger ist es, dass die Indikationsstellung nicht überdehnt und die durchaus erheblichen Herausforderungen der Implantatversorgung – insbesondere in den Bereichen Patientenautonomie, Verant- wortlichkeit beziehungsweise Verantwor- tungsübernahme, klinische Evidenz und Management von Komplikationen und Spätfolgen – analysiert und prospektiv ab- geschätzt werden. Der vorliegende Beitrag fußt auf der Veröffentlichung Karin Groß, Mathias Schmidt, Dominik Groß: „Indication first“: Die zahnärztliche Implantologie aus ethischer Sicht, Implantologie 27/1 (2019), S. 7–18. Dr. med. dent. Karin Groß Universitätsklinikum Aachen, Klinik für Zahnärztliche Prothe- tik und Biomaterialien, Zentrum für Implanto- logie Pauwelsstr. 30 52074 Aachen Dr. rer. medic. Mathias Schmidt, M.A. Universitätsklinikum Aachen, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Wendlingweg 2 52074 Aachen Univ.-Prof. Dr. med. Dr. med. dent. Dr. phil. Dominik Groß Universitätsklinikum Aachen, Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Wendlingweg 2 52074 Aachen Foto: privat Foto: privat Foto: privat Abbildung 6: Weiteres Beispiel für eine Fehl-/Überversorgung Foto: Stefan Wolfart Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion angefordert werden. 46 Zahnmedizin

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