Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 18
zm 109, Nr. 18, 16.9.2019, (2030) Die Prothese ist verschwunden! (Abbildung 9) Die Pflegeeinrichtung hat uns informiert, dass im Rahmen eines Krankenhausaufenthalts auf- grund einer Lungenentzündung beide Prothesen verschwunden und trotz intensiver Suche nicht wieder aufgetaucht sind. Die Frage der Kostenübernahme war geklärt. Die Patientin ist geringfügig in der Kooperationsfähigkeit eingeschränkt, jedoch auf einen Pflegerollstuhl angewiesen und die Schluckkompetenz ist nach einem länger zurückliegenden Schlaganfall reduziert. Die Situationsabformung der Kiefer mittels Alginat zeigte, dass sich die Zähne und vor allem Teleskope in der Zwischenzeit verstellt hatten – sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer bestand keine einheitliche Einschubrichtung mehr (oben links und unten links). Eine Neu- anfertigung lediglich der Sekundärkonstruktion war also nicht sinnvoll. Das Primärteleskop des Zahnes 45 war schon länger nicht mehr in situ, der Zahnstumpf kariös stark zerstört, aber schmerzunempfindlich und ohne scharfe Kanten. Die Patientin und die Angehörigen baten um die Anfertigung neuer Prothesen, nach Möglichkeit ohne große Belastung und in der Pflegeeinrichtung. So haben wir die Teleskop-Primärteile einfach im Mund belassen und auf dem bereits bestehenden Situationsmodell des Oberkiefers eine Biss-Schablone aus Kunststoff angefertigt, um über eine Silikonsplint-Verschlüsselung die Modelle zuordnen zu können – die Zahnfarbe wurde mit der Patientin und den Angehörigen zusammen ausgesucht. Der Zahntechniker hat die Situationsmodelle nach Mittelwerten und über die Biss-Schablone einartikuliert. Für die Teleskopzähne wurden Kronen gefertigt, der Stumpf des Zahnes 45 auf Saumniveau radiert und die fehlenden Zähne mit Einstückguss-Klammerprothesen ersetzt. Am Tag der Eingliederung haben wir im Mund den Stumpf des Zahnes 45 auf Saumniveau eingekürzt (es war keine Anästhesie notwendig), die Kronen auf den belassenen Primärteilen zementiert, den Biss kontrolliert und mit dem Pflegepersonal das Ein- und Ausgliedern der Prothesen geübt. Die Patientin wie die Angehörigen waren über die schnelle und wenig belastende Behandlung sehr erleichtert. Drei Tage später haben wir nochmals die Prothesen in Bezug auf Halt und Druckstellen, Okklusion und Artikulation (soweit möglich) sowie den hygienischen Zustand überprüft. Die Ein- und Ausgliederung gelingt nach Aussage der Pflegekräfte aufgrund der individuell eingestellten Abzugskräfte der Klammern, die auch „besser zu greifen sind“, sogar einfacher als mit der ursprünglichen Versorgung. Erweiterungen und Interimsprothesen kön- nen in vielen Fällen vor Ort durchgeführt werden. Gerade bei Erweiterungen sind Teilausformungen mit schnell abbindenden Silikonen anstelle von Überabformungen für den Zahntechniker mitunter ausreichend (Abbildung 8). \ Die Prothese ist verschwunden! Klinikaufenthalte, die Orientierungslosigkeit mancher Bewohner oder einfach die Hektik des Pflegealltags können Gründe sein, warum Prothesen auf einmal fehlen. Meist tauchen die Prothesen schnell wieder auf. Wenn nicht, muss zunächst in enger Ab- sprache mit dem Umfeld geklärt werden, ob – und wenn ja – in welcher Form eine Neuanfertigung möglich ist und wer die gegebenenfalls entstehenden Kosten über- nimmt. Nicht immer ist es möglich, die „alte“ Arbeit einfach neu zu machen (Abbil- dung 9). Wen holen wir in die Praxis? Theoretisch kann jeder gebrechliche Mensch in eine Zahnarztpraxis transportiert werden. Viele Praxen sind jedoch für Menschen, die liegend transportiert und behandelt werden müssen, nicht in geeig- neter Weise ausgestattet oder vernünftig erreichbar. Auch bei Menschen in speziali- sierten und individuell angepassten Pflege- rollstühlen stoßen nicht wenige Praxen an ihre Grenzen. Hier sind Verbesserungen not- wendig und bereits im Gespräch befindliche Fördermittelmodelle für Umbaumaßnah- men müssen mit der Politik weiterentwickelt werden. Notwendige komplexe Behand- lungen können – wenn überhaupt – in einer optimal ausgestatteten Praxis besser durch- geführt werden. Dazu sollten analog der Behandlung von Menschen mit Pflegegrad außerhalb der Praxis auch für die Behand- lung in der Praxis Zuschläge bei der Abrech- nung gewährt werden. Die Behandlung gebrechlicher Menschen in der Praxis erfor- dert ebenso einen deutlich höheren perso- nellen, instrumentellen und zeitlichen Auf- wand. Zudem sind komplexe Behandlungen bei Menschen mit eingeschränkter Mobilität beziehungsweise eingeschränkter Koopera- tionsfähigkeit körperlich wie auch psychisch deutlich anspruchsvoller. Wir holen in unsere Praxis vor allem Patien- ten, die relativ gut belastbar sind. Auch ein engagiertes Umfeld ist hilfreich – vor allem dann, wenn zum Beispiel professionelle Rei- nigungen in engeren Zeitabständen in der Praxis vereinbart werden. Dieser Wunsch wird zunehmend von Angehörigen formuliert: „Meiner Mutter waren die Zähne immer wichtig!“ Insgesamt sind alle Patienten unserer Praxis darüber informiert, dass wir pflegebedürftige Menschen betreuen. Die meisten nehmen 92 Zahnmedizin
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