Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 20

zm 109, Nr. 20, 16.10.2019, (2284) Der Patient gab bei der Erstvorstellung an, am Tag zuvor bei einem Arbeitsunfall einen Schlag aufs rechte Auge erhalten zu haben. Eigentlich habe er danach nicht vorgehabt, einen Arzt zu konsultieren, allerdings sei ihm aufgefallen, dass er auf dem geschädigten Auge immer schlechter sieht; er habe außer- dem einen Termin bei seinem Hauszahnarzt gehabt, der ihm dringend geraten habe, sich in eine Klinik mit MKG-chirurgischer Ex- pertise zu begeben. Klinisch zeigten sich am rechten Auge ein deutlich verminderter Visus bei einge- schränkter Motorik in allen Achsen mit aus- geprägtem periorbitalem Hämatom sowie ein Hyposphagma (subkonjunktivale Ein- blutung). Weiterhin lag eine Anisokorie vor, die rechte Pupille war weit und reagierte nicht mehr auf Lichtreize (Abbildung 1). Da- her erfolgte umgehend eine CT-Unter- suchung der Orbita, die eine Fraktur der rechten medialen Orbitawand am Übergang zumOrbitadach und am Bereich des Orbita- trichters an der Lamina papyracea mit Fragmentimpression in die Ethmoidalzellen nachwies. Weiterhin lag ein Hämatom von 3,3 cm x 1,4 cm an der medialen Orbita- wand cranial des M. rectus medialis bis nach retrobulbär reichend vor. Dies hatte bereits zu einer Protrusio bulbi geführt. Der linke Orbitaboden war ebenfalls frakturiert (Abbildungen 2a und 2b). Daher wurde sofort in Intubationsnarkose die operative Dekompression des Retrobulbär- hämatoms durchgeführt. Über einen Schnitt im Bereich der rechten Augenbraue und subciliär konnte das Hämatom dargestellt und entfernt werden (Abbildung 3). An- schließend wurden Drainagen eingelegt (Abbildung 4). Postoperativ erhielt der Patient 20-prozenti- ges Mannitol, 500 mg Acetazolmid sowie hochdosierte Glucocorticoide (Hydrocorti- son 100 mg) und einen Magenschutz mit Ranitidin. Der Visus des Patienten verbesserte sich progredient, allerdings erreichte er nicht mehr seine volle Sehfähigkeit. Diskussion Die exponierte Lage sowie der dünne, die Orbita umgebende Knochen prädisponieren zu einer erhöhten Anfälligkeit für Frakturen durch äußere Einwirkungen. Infolgedessen treten bei Verletzungen des Mittelgesichts häufig Brüche des Orbitabodens auf, von denen 22 bis 29 Prozent mit visuellen Komplikationen wie Diplopie, Einklemmung der Augenmuskeln oder Taubheitsgefühl im Infraorbitalbereich einhergehen. Das Kompartmensyndrom der Orbita („tight orbit“) entsteht durch einen raschen Druckanstieg in der pyramidal aufgebauten Region ohne Ausweichmöglichkeiten. Kon- sekutiv kommt es zu einer Kompression und zu einem Abfall der Sauerstoffversorgung, insbesondere der vulnerablen neurosenso- rischen Strukturen. Typischerweise folgt es, wie im vorliegenden Fall, auf ein Trauma, ursächlich kann aber auch ein chirurgischer Eingriff in der Kieferhöhle oder im Mund sein [Goshtasby et al., 2010]. Des Weiteren wird von nicht-traumatischen Kausalitäten Der besondere Fall mit CME Kompartmentsyndrom der Orbita – Retrobulbärhämatom nach Trauma Peer W. Kämmerer, Bassam Saka Ein 49-jähriger Mann stellte sich nach einem Rohheitsdelikt mit einem Schlag auf den rechten Bulbus und deutlicher Visusverminderung einen Tag nach dem Trauma vor. In der Bildgebung zeigte sich eine Fraktur der rechten medialen Orbitawand sowie ein Retrobulbärhämatom. Trotz einer umgehenden operativen Dekompression in Intubationsnarkose erreichte der Patient nicht mehr seine volle Sehfähigkeit. Kliniker präsentieren Fälle mit hohem diagnostischem Schwierigkeitsgrad. Alle Fotos: Peer W. Kämmerer 74 Zahnmedizin

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