Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

Jahre vernachlässigten Zähne im Ausland in Ordnung bringen lässt. Wie steht sie denn jetzt da, wenn sie einfach so wieder abreist!? „Haben wir dir ja gleich gesagt!“, „Das Geld für die Reise hättest du dir sparen können!“, „Geh‘ doch mal zu Dr. Schmitt, der hat auch vernünftige Preise!“ sind die Reaktionen, die wahrscheinlich zu Hause auf sie zukämen. „Wäre es nicht vielleicht eine Idee, den Patienten zukünftig ein paar Stunden oder Tage Zeit zu geben, um über eine Ent- scheidung nachzudenken?“, frage ich den Mitarbeiter der Vertragsabteilung. „Nein, wir haben ja enge Zeitpläne. Außerdem lasse ich die Patienten ungern vom Haken, wenn ich sie einmal hier habe“, ist seine Antwort. Nicht nur Zeit ist Geld, auch die Quote muss stimmen. Wer es nicht schafft, eine bestimmte Quote an Vertragsabschlüs- sen zu erzielen, bekommt keinen Bonus. Der ist dreistufig und bei dem Preisgefüge in diesem südosteuropäischen Land nicht zu unterschätzen. Gleiches gilt für die Quote beim Verkauf von Zirkonoxidversorgungen anstelle der VMK-Prothetik. „Sollten die von der Klinik vorab gegebenen Kostenvoranschläge nicht näher am späteren tatsächlichen Betrag liegen?“, schlage ich in einem Meeting vor. „Nein, das geht nicht. Dann würden sich die Patienten nicht dafür entscheiden, zu uns zu kommen. Außerdem steht auf jedem unserer Angebote, dass der genaue Preis erst nach einer Untersuchung vor Ort ermittelt werden kann. Darauf muss man die Patienten immer wieder mit Nach- druck hinweisen“, lautet die Antwort. Die Behandlung der Patientin beginnt, und als ich zu einer der Sitzungen hinzukomme, scheint sie sichtlich erleichtert, dass es jemanden im Zimmer gibt, der ihr die ein- zelnen gerade stattfindenden Behandlungs- abläufe auf Deutsch erklären kann. Der junge Zahnarzt aus einem Nicht-EU-Staat gibt sich alle Mühe, trotz seines Gehalts von weniger als 1.000 Euro pro Monat, die Behandlung einen Erfolg werden zu lassen. Gearbeitet wird bis spät in die Nacht, egal wie „Wie sehen denn deine Planungen in der Spätschicht aus?“, frage ich ihn. Er schaut mich an und sagt: „Ich habe heute Abend noch zwei Stunden für die Präparation eines Ober- und Unterkiefers eingeplant bekom- men. Brücken, Kronen, Inlays.“ Gearbeitet wird bis spät in die Nacht, egal wie – die Patienten müssen versorgt werden. Denn der Aufenthalt der Kunden ist begrenzt, das Zeitfenster entsprechend klein. Angesichts der bei vielen desolaten, über Jahre vernachlässigten Mundgesundheit geht mir die Frage durch den Kopf, wie man denn zukünftige Probleme bei diesen Implantatpatienten vermeiden will. Es ist schließlich allgemein bekannt, dass die Prä- valenz für eine Periimplantitis bei bis zu 40 Prozent der Implantatversorgungen liegen kann [Athieh et al., 2013]. Bei 20 Prozent der Patienten liegt die Prävalenz bei fünf bis zehn Jahren [Frisch, 2014]. „Bekommen die Patienten eine eingehende Mundhygiene- unterweisung, damit wir eine hohe und lang- fristige Erfolgsrate haben?“, lautet daher meine Frage an den Chefarzt der Klinik. „Wir sagen den Patienten, dass sie eine Munddusche benutzen sollen und regelmäßig putzen. Denen mehr zu erzählen, macht eh keinen Sinn.“ Damit ist das Gespräch für ihn beendet. Die Munddusche reicht! Tage später komme ich zur Nachbehand- lung eines Patienten, der seine festsitzende Versorgung vor etwa einem Jahr erhalten hatte. Man ist sichtlich bemüht, die Ursache für eine Keramikabsplitterung an der labial- incisalen Fläche eines oberen Einsers zu fin- den. Nach längerer Diskussion sind sich die Behandler einig, dass man den Biss über- prüfen sollte. Vielleicht hätten die Probleme auch verhindert werden können, wenn man bei der einzeitigen Insertion des ZE einen Gesichtsbogen und weitere gnathologische Hilfsmittel verwendet hätte. Aber das ist nur so ein Gedanke. Einzelfälle? Keineswegs, pro Monat gibt es etwa 100 größere und kleinere Reklamationen. ! Sven Thiele, Zahnarzt, Autor und Dozent am King‘s College Lon- don, wollte in Erfahrung bringen, wie Dentalkliniken im Ausland arbeiten und Dentaltourismus zu Preisen anbieten können, die in Deutschland nicht möglich sind. Dazu heuerte er in einer südost- europäischen Zahnklinik als Patientenberater an und konnte währenddessen tiefe Einblicke in die Abläufe gewinnen. Thiele schreibt unter anderem regelmäßig für den Blog foreigndentist.wordpress.com . Seine Erfahrungen hat er in seinem neuen Buch verarbeitet, das Anfang 2020 erscheint. ! Über Sven Thiele Foto: privat 26 Politik

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