Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
Viele dieser Filme entstanden kurz nach der endgültigen Fertigstellung einer Implantat- getragenen Prothetik, also zu einem Zeit- punkt, zu dem sich über den mittel- und langfristigen Erfolg der Therapie wenig Aus- sagen treffen lassen. Die Kliniken haben nicht zuletzt auch deswegen aufgerüstet, weil es für den lukrativen Markt der Implan- tatversorgungen eine andere Ausstattung in den Praxen braucht als für eine totale Ober- oder Unterkieferprothese. Intraoralscanner, Cone-Bean-Scanner, digi- tale Inhouse-Zahnlabore, in denen mittels CAD/CAM prothetische Arbeiten geplant und im Nebenraum gefräst werden. Ver- ständlich, dass Patienten sich entsprechend positiv dazu äußern, denn eine solche Technik dürfte in den wenigsten Zahnarzt- praxen Deutschlands, Österreichs oder der Schweiz stehen. Muss auch nicht, denn die Anforderungen sind andere, aber das wiederum ist für den Patienten nicht ersichtlich. Marketing ist King, ähnlich wie jede monetär erfolgreiche Kaffeefahrt ein ausgezeichnetes Marketing benötigt. Keine gute Kaffeefahrt ohne gutes Marketing Das wusste schon meine Lieblingstante Waltraud. Sie liebte Kaffeefahrten und wann immer sich die Gelegenheit bot, war sie dabei. Allerdings nur, weil es für sie die Gelegen- heit gab, sich kommunikativ mit anderen Rentnern auszutauschen, ein wenig im Bus durch die Gegend gegondelt zu werden und den vom Veranstalter angebotenen Kuchen zu essen. Warum ein 128-teiliges Kochtopfpaket kaufen, wenn es dasselbe beim Händler um die Ecke zu einem ähnlichen Preis gibt? Ein Marketinginstrument ist die Ausstattung, ein anderes der Service, der in diesen Praxen und Kliniken geboten wird. Es gibt Kliniken in Ungarn, die ihre Patienten im Shuttle vom Flughafen Schwechat in Wien abholen. Andere fahren sie gleich als ganze Busladung in die Praxis. Patienten, die sich in der Türkei behandeln lassen, können mit einem Rabatt bei Turkish Airlines rechnen. Werbung auf Google und Facebook sind un- verzichtbar, um genügend Patienten in die Kliniken zu locken. Und hat man erst einmal – egal wie – die E-Mail-Adressen potenzieller Patienten, die auf irgendeinem Portal ihre Angaben hinterlassen haben, um Informa- tionen über Behandlungsabläufe oder Preise für Zahnersatz zu erhalten, dann fliegt E-Mail über E-Mail in die Mailbox. „Jetzt unseren Gutschein nutzen und Hotel- aufenthalt geschenkt bekommen“, „Den- ken Sie schon im Winter an ein strahlendes Lächeln im nächsten Frühjahr – vereinbaren Sie sofort Ihren Termin in unserer Klinik“, „Wir haben noch ein paar freie Kapazitäten, buchen Sie deshalb jetzt für Ihr schönstes Lächeln“ – solche und ähnliche Texte lan- den regelmäßig im Posteingang. Haben Sie schon einmal daran gedacht, den Patienten Ihrer Praxis eine Stadtrundfahrt anzubieten oder sie zum Abendessen mit Rahmenprogramm einzuladen? Sicher nicht. Aber das ist eben- falls meist Teil der Marketingstrategie. Denn die Patienten sollen zu Hause ja nicht nur von ihren neuen Zähnen schwärmen. Dentaltouristen bringen Geld ins Land Dentaltourismus-Anbieter sind inzwischen fester Bestandteil in den Planungen von Tourismusbüros und Rathäusern. Denn die Dentaltouristen bringen Geld ins Land und in die Stadt. Hotelunterkünfte (die meisten Patienten übernachten zwischen vier und 14 Tagen), Restaurantaufenthalte, Shopping – zu 80 Prozent reisen Patienten mit einem Familienmitglied an [Bünten, 2006]. Während der Ehemann neue Zähne bekommt, ent- spannt die Gattin im Thermalbad oder im Beauty-Salon beziehungsweise besichtigt historische Stätten. Tourismusbehörden oder Internet-Magazine veröffentlichen Hinweise, wie Patienten aus bestimmten EU-Ländern neben ihrer kos- tengünstigeren Behandlung auch noch Steuervorteile bei der Rückkehr bei Vorlage Einer der ersten, die sich des Dental- tourismus von wissenschaftlicher Seite aus annahmen, war Andreas Joss von der Universität Bern [Joss et al., 1999]. In seiner Studie wurden 103 Patienten von neutralen Zahnärzten untersucht, ohne dass die Herkunft des angefertigten Zahnersatzes bekannt war. Die Qualität der prothetischen Arbeit wurde mit einer Skala von A (sehr hohe Qualität) bis E (schwerste Mängel) bewertet. Joss und Mitarbeiter konnten für keinen in Ungarn angefertigten Zahnersatz die Bewertung A oder B vergeben, lediglich 20 Prozent der Arbeiten erhielten die Bewertung C und immerhin 41 Prozent die Bewertung D, gefolgt von 39 Prozent mit der Bewer- tung E. In Deutschland wurde eine erste wissen- schaftliche Bewertung von Behandlungen im Ausland 2004 durchgeführt: Der Medi- zinische Dienst der Krankenversicherung Rheinland-Pfalz untersuchte mit dem Institut für Medizinische Biometrie und Informatik der Universität Mainz 60 Pa- tienten mit im Ausland angefertigtem Zahnersatz [Baulig et al., 2004]. In 53 Prozent der Fälle wurde eine Neuanferti- gung des Zahnersatzes als notwendig er- achtet. Insgesamt bestand bei 97 Prozent der im Ausland gefertigten Einzelkronen die Frage nach der Notwendigkeit ihrer Anfertigung. Eine erneute Untersuchung in 2008 ergab, dass immerhin noch 45 Prozent der im Ausland erfolgten Versorgungen nicht-richtlinienkonform und noch dazu mängelbehaftet waren [Baulig, 2008]. Noch 2009 berichtet das Institut für Wissen in der Wirtschaft (IWW), dass der Dentaltourismus keine dynamische Ent- wicklung nimmt. An einer Studie von Dr. David Klingenberger [Klingenberger et al., 2009] nahmen 1.368 Patienten teil – 1,2 Prozent der Befragten waren für zahn- ärztliche Behandlungen bereits ins Aus- land gereist. Für die Schweiz ergab eine Studie von 2006, dass bereits 11 Prozent für eine Behandlung im Ausland waren [Klingenberger, 2008]. ! Die Studienlage 30 Politik
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