Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

zm 109, Nr. 21, 1.11.2019, (2392) Der Patient stellte sich im April 2011 in der Poliklinik der Akademie für Zahnärztliche Fortbildung Karlsruhe vor. Grund der Kon- sultation war die ästhetische Situation im Oberkieferfrontzahnbereich, durch die er sich beeinträchtigt fühlte. Das ästhetisch unbefriedigende Erscheinungsbild war auf kariöse Läsionen an fast allen Zähnen zu- rückzuführen. Dabei hatte der Patient trotz seines desolaten Gebisszustandes weder Schmerzen noch funktionelle Probleme mit seinen Zähnen. Dem Beginn der zu diesem Zeitpunkt erfor- derlichen Therapie war eine achtjährige Zahnarztabstinenz und eine damit einherge- hende starke Vernachlässigung der Mund- hygiene vorausgegangen (Abbildungen 1a-c). Als Grund für die lange Zahnarztabsti- nenz gab der Patient eine Zahnarztphobie an. Sein äußeres Erscheinungsbild war durchaus gepflegt und stand somit nicht im Einklang mit der oralen Situation. Eine Begründung, warum es zu demoffensichtlich desaströsen Zustand seiner Bezahnung gekommen war, konnte oder wollte der Pa- tient nicht äußern. Die Reaktionen waren auf Nachfrage eher ausweichend und nichtssa- gend. Der Patient kann als gut situiert bezeichnet werden. Er trat eher introvertiert auf und verbarg seine Zähne beim Reden durch die Lippe. Sein Wunsch war eine Gesamtrehabilitation des Gebisses in Vollnar- kose. Einer implantologischen Versorgung stand er offen gegenüber. Die allgemeinme- dizinische Anamnese war unauffällig. Befund Der allgemeinzahnmedizinische Befund zeigte ein generalisiert-kariöses Gebiss mit vollständig zerstörten Zähnen im Seiten- zahnbereich (Abbildungen 1a-c). Die Zähne 13, 21, 22, 33–43 reagierten beim CO 2 -Sen- sibilitätstest positiv. Die restlichen Zähne im Ober- und Unterkiefer zeigten bei Vitalitäts- prüfung keine Reaktion. Die Sondierungstie- fen lagen im Frontzahngebiet von Ober- und Unterkiefer bei 3–4 mm sowie im Sei- tenzahnbereich bei größer/gleich 5 mm. Die Ober- und Unterkieferfrontzähne wie- sen – im Gegensatz zum Seitenzahnbereich – keine erhöhten Lockerungsgrade auf. Das OPG (Abbildung 2) zeigte kariöse Defekte an allen Zahnkronen sowie periapi- kale Osteolysen von 18–15, 24–28, 38–34 und 44–48. Die Zähne 13–23 wiesen kariöse Defekte mit Beteiligung der Pulpa auf. An den Unterkieferfrontzähnen waren keine größeren Defekte oder apikale Aufhellun- gen zu erkennen. ! Bewertung des klinischen Ausgangs- befunds: Das auffallendste Merkmal im hier zu bewertenden Fall war der Widerspruch zwi- schen oraler Situation und dem gepflegten Der besondere Fall Sanierung nach langer Zahnarzt- abstinenz und vernachlässigter Mundhygiene Michael Korsch, Karim Mamar Ein 34-jähriger Patient hatte die häusliche Mundhygiene ohne erkennbare Gründe fast vollkommen eingestellt. Die daraus resultierende desolate orale Gesamtsituation war mit seinem äußeren Erscheinungsbild und seinem sozialen Status nicht vereinbar. Aufgrund dieser Widersprüche erfolgte eine intensive Abwägung der Therapieoptionen. Fotos: Michael Korsch Abbildung 1: Die Ausgangssituation vor Behandlungsbeginn: Eine generalisierte Gingivitis sowie multiple kariöse Läsionen führten zu einer desolaten Gesamtsituation. 46 Zahnmedizin

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