Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21

zm 109, Nr. 21, 1.11.2019, (2404) Zahnlose Patienten leiden häufig vor allem unter einem schlechten Sitz ihrer unteren Totalprothese. Da Implantate bei Zahnlosig- keit in der Regel nicht im Rahmen der GKV- Leistungen bezahlt oder bezuschusst wer- den, sind nur wenige der zahnlosen deut- schen Senioren mit Implantaten versorgt [Jordan und Micheelis, 2016]. Internationale Leitlinien empfehlen seit Lan- gem zwei Implantate als minimale Stan- dardversorgung des zahnlosen Unterkiefers [Feine et al., 2002; Thomason et al., 2009]. Deutsche Fachgesellschaften empfehlen so- gar vier Implantate als Standard für die Ver- ankerung eines herausnehmbaren Zahner- satzes im zahnlosen Unterkiefer [Konsensus- konferenz Implantologie, 2014]. Diese Empfehlungen führen nicht selten da- zu, dass zahnlosen Patienten, die sich nicht mindestens zwei oder sogar vier Implantate leisten können, die Verbesserung des Prothe- senhalts durch die Insertion eines einzigen Implantats verweigert wird, obwohl seit über 20 Jahren bekannt ist, dass diese Therapieop- tion geeignet ist, den Kaukomfort und die Lebensqualität der unter einer schlecht hal- tenden unteren Totalprothese leidenden Patienten deutlich zu verbessern [Cordioli et al., 1997]. Inzwischen existiert eine Vielzahl von Studien, die das Therapiekonzept des mittleren Unterkiefer-Einzelimplantats durch positive Ergebnisse unterstützt [Passia und Kern, 2014; Nogueira et al., 2017]. Erste Langzeitdaten über 10 Jahre aus der Klinik für Zahnärztliche Prothetik der Kieler Universität wurden dieses Jahr publiziert [Passia et al., Mittiges Einzel- implantat im zahn- losen Unterkiefer 2019]. In dieser Pilotstudie ging während dieser Zeit kein Implantat verloren und alle Patienten empfanden eine starke Verbesse- rung ihrer Kaufunktion. Das minimalistische Therapiekonzept des mittleren Unterkiefer-Einzelimplantats nach dem Motto „besser eins als keins“ ist ein weiteres Beispiel einer frugalen protheti- schen Intervention. Der „nervferne“ chirur- gische Eingriff im Bereich der relativ breiten Unterkiefermitte mit exzellenter Knochen- qualität beinhaltet deutlich geringere Risi- ken als die Implantation in anderen Unter- kieferbereichen, erfordert in der Regel keine Augmentationen und ist damit schonender. Durch den intraoral vorgenommenen adhä- siven Einbau des Retentionselements in die vorhandene Unterkieferprothese und den initialen Verzicht auf ein verstärkendes Pro- thesengerüst werden teure externe zahn- technische Leistungen entbehrlich. Nur wenn es später tatsächlich zu einer Prothe- senfraktur kommen sollte, wird nachträglich ein günstiges netzförmiges Verstärkungsge- rüst eingebaut. Dieser nachträgliche Einbau beinhaltet in seinen Kosten die dann gleich- zeitig notwendige Bruchreparatur. Über die mögliche Komplikation eines Prothesen- bruchs muss der Patient genauso aufgeklärt werden wie über die später gegebenenfalls notwendige Aktivierung beziehungsweise den Austausch von Retentionselementen. Ist eine alte Teilprothese mit Gerüst vorhan- den, kann diese als kostengünstige Grund- lage einer Prothese mit Verankerung über ein mittiges Implantat verwendet werden (Abbildungen 33–36). Abbildung 33: Zahnloser Unterkiefer nach Verlust der letzten teleskopierenden Pfeilerzähne. Abbildung 34: Röntgenaufnahme vor Implantation. Abbildung 35: Zahnloser Unterkiefer mit inseriertem mittigen Einzelimplantat und Kugelkopfanker. Abbildung 36: Frontalansicht des mittigen Einzelimplantats mit Kugelkopfanker. Abbildung 37: Röntgenkontrollaufnahme nach Implantatinsertion. Abbildung 38: Mit rosafarbenem Kompositkunststoff (Pick-up, DMG) in die vorhandene Prothese eingeklebte Matrize (Dalbo Plus, Cendres + Métaux). Fotos (33–38): Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde am UKSH Kiel 33 34 35 36 37 38 Schlussfolgerungen In den letzten beiden Jahrzehnten haben auch im Bereich der prothetischen Zahnmedizin fru- gale Konzepte deutlich an Bedeutung gewonnen. Nach den Erfahrungen der Autoren sind frugale prothetische Interventionen sowohl für den Patienten als auch für den Behandler glei- chermaßen sehr befriedigend. Selten kann man in strahlendere Augen schauen, als wenn man mit den oben beschriebenen Methoden Patienten mit relativ geringem Aufwand dauer- haft helfen konnte. ! Behandle Deine Patienten immer so, wie Du Deine eigene Familie behandeln würdest. Prof. Dr. Matthias Kern Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Arnold-Heller-Str. 16, 24105 Kiel email: mkern@proth.uni-kiel.de Dr. med. dent. Mohamed Sad Chaar Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Arnold-Heller-Str. 16, 24105 Kiel PD Dr. med. dent. Nicole Passia Klinik für Zahnärztliche Prothetik, Propädeutik und Werkstoffkunde Christian-Albrechts-Universität zu Kiel Arnold-Heller-Str. 16, 24105 Kiel 58 Zahnmedizin

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