Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 109, Nr. 21, 1.11.2019, (2440) 1990 orientierten sich alle Kollegen um: Alle dachten nur noch an die eigene Niederlas- sung. Das sogenannte Kollektiv zerfiel. Die staatliche Kreispoliklinik war wirtschaft- lich marode, die Technik zum Teil veraltet. Materialien und Leistungen – Röntgenbil- der, Diamantschleifer, Laborkapazitäten – waren rationiert. 14 Zahnärzte teilten sich sieben zahnärztliche Arbeitsplätze. Diese Si- tuation war sicher auch innerhalb der DDR schlechter als der Durchschnitt.“ Michael Kirsten „Da wir nun gerade eine neue Wohnung bezogen hatten, beschlossenwir, in Thüringen zu bleiben.“ „Im Sommer 1989 spürten wir die begin- nenden Unruhen. Nachdem am 2. Mai 1989 Ungarn die Grenzbefestigungen zu Österreich abbaute und der Eiserne Vorhang fiel, merkten wir natürlich auch, dass ein Umbruch im Gange war. In den Sommer- monaten waren wir jedoch so mit unserem Staatsexamen und der Verteidigung unserer Diplomarbeit beschäftigt, dass wir die politi- schen Ereignisse nur am Rande verfolgen konnten. Der 9. November 1989 war ein schicksalhaf- ter Tag in unserem Leben. Ich muss vorweg- nehmen, dass sowohl die Familie meines Mannes nach dem Krieg infolge der Vertrei- bung der Sudetendeutschen wie auch mei- ne Familie geteilt waren. Die Großmutter meines Mannes lebte zur damaligen Zeit in Wiesbaden, meine Großeltern in Duisburg. Meine Mutter verließ 1964 die BRD und gab ihre dortige Staatsbürgerschaft auf, ummei- nen Vater, der zum dem Zeitpunkt gerade sein Studium in Karl-Marx-Stadt beendet hatte, zu heiraten. Sie konnten lange nicht zu ihrer Familie in den Westen kommen. Das Besuchsrecht wurde erst in den 1970-er Jah- ren gelockert. Bis zum September 1989 wa- ren auch mein Mann und ich nie bei den Großeltern. Wir kannten es nicht anders. Es gab für sie nur Bilder von uns. Als nun am 9. November die Mauer fiel, war dies für unsere Familien ein großes Glück – wir waren wieder vereint. Aber die Frage, gehen wir auch „rüber“ oder bleiben wir hier, war schon durch die Überlegung ge- prägt, ob die Grenze nun offen bleibt oder unsere Familien weiter getrennt sind. Da wir nun gerade eine neue Wohnung bezogen hatten, beschlossen wir, in Thüringen zu bleiben. Es sollte sich später als richtiger Ent- schluss erweisen.“ Claudia Espig „Das waren wunderbare Tage!“ „Es war eine unglaubliche Befreiung für je- den Einzelnen, die gleichzeitig auch etwas Ohnmacht und Angst erzeugte. Die Freude überwog letztlich. Für Manche hatten die Chaoten mit den stinkenden Trabis aus dem Osten schon auch etwas Bedrohliches. Aber auch dort hat man gespürt, wie sich die Her- zen öffneten. Das waren wunderbare Tage – die Begeisterung füreinander zwischen Ost und West. Wir wollten niemandem etwas an seinem erarbeiteten Wohlstand streitig ma- chen und hatten Sorge, als Bettler dazuste- hen. Diese Demütigung war Jahrzehntelang Alltag im Osten und war ein unerträglicher Ballast für eine überfällige deutsche Hoch- zeit von Ost und West, an die schon kaum noch jemand geglaubt hat. Klar, haben wir uns auch Sorgen gemacht. „Aus der Planwirtschaft in die Marktwirt- schaft“ war kein Lehrstoff. Als Absolvent er- hielt man seinen Arbeitsplatz für die Fach- arztausbildung noch über die Universität vermittelt. Das war einerseits bequem, aber andererseits auch von Willkür und Überwa- chung geprägt. Ich erhielt so einen Arbeits- platz in einer Poliklinik in Dresden, in der ge- nügend inoffizielle Stasi-Mitarbeiter waren, um mich weiter kontrollieren zu können.“ Michael Arnold Der Neuanfang „Die Zusage für den KfW-Kredit erhielten wir, als wir bereits praktizierten.“ „Mit der Wende sahen wir die Chance, eine Praxis nach eigenen Vorstellungen aufzu- bauen. Unseren ersten Niederlassungsan- trag mit zwei weiteren Kolleginnen reichten wir im April 1990 ein. Er wurde vom damali- gen Kreiszahnarzt mit lautstarker Empörung abgelehnt. In der eigenen Praxis arbeiteten wir mit großem Elan. Am schwierigsten war es für alle Kollegen, geeignete Räumlichkei- ten zu finden. Die Altbausubstanz war in der DDR marode. Von der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW), Verbänden und Kollegen aus den al- ten Bundesländern erhielten wir großartige Unterstützung. Die Bayerische Landeszahn- ärztekammer, zahnärztliche Verbände und die Deutsche Apotheker- und Ärztebank vermittelten uns in Niederlassungssemina- ren wichtige Informationen. Wir besuchten ein Seminar zur Praxisführung. Im April Berliner besetzen 1989 die Mauer. Foto: Picture Alliance/dpa_Henning Langenheim / akg 94 Gesellschaft
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