Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 21
zm 109, Nr. 21, 1.11.2019, (2442) 1990 fuhren wir mit unserem Trabant zu Den- taldepots in Nürnberg; im Mai mit dem Zug zumBayerischen Zahnärztetag inMünchen. Wir begannen unsere Tätigkeit im April 1991 in drei Räumen und mit zwei Behand- lungsplätzen, wobei ein Behandlungsgerät wegen der großen Nachfrage erst im Mai geliefert werden konnte. Wir arbeiteten zu einem stark abgesenkten Honorar (minus 35 Prozent). Die Nachfrage war enorm, da bis zur Wende die Bevölkerung bei uns qua- litativ und quantitativ unterversorgt war. Wir erweiterten die Praxis nach zwei Jahren. Die Arbeitszeiten waren sehr lang. Dadurch gelang es uns jedoch, die wachsenden Kos- ten zu erwirtschaften. Die Zusage für den KfW-Kredit erhielten wir übrigens, als wir bereits praktizierten.“ Michael Kirsten „Einen Kredit hatten wir zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, dafür einen Einkauf für 200.000 DM getätigt.“ „1989 fiel die Mauer, am dritten Oktober 1990 feierten wir das erste Mal den Tag der Deutschen Einheit und am 31. Dezember 1990 schlossen unsere Polikliniken. Das staatliche Gesundheitswesen der DDR gab es nicht mehr. Nun hatten wir das Problem, dass wir die vorgeschriebene zweijährige Vorbereitungszeit noch nicht beendet hat- ten. Damit drohte uns die Arbeitslosigkeit – alle vier Absolventen aus 1989 in Gotha wa- ren betroffen. Wir führten zahlreiche Ge- spräche mit dem damaligen Landrat. Im Er- gebnis konnten wir bei neu niedergelasse- nen Kollegen mitarbeiten – wir Zahnärzte und auch unsere Helferinnen wurden kom- plett vom Krankenhaus Gotha bezahlt. Die erzielten Umsätze blieben bei dem nieder- gelassenen Kollegen, dadurch war es für sie natürlich sehr lukrativ, uns anzustellen. So absolvierten wir die restlichen acht Monate Vorbereitungszeit und ließen uns dann im Januar 1992 als Gemeinschaftspraxis nieder. Bereits im Sommer 1991 begannen wir mit den Vorbereitungen. Jung und unerfahren, orderten wir zwei neue Siemens-Einheiten und zwei Röntgengeräte. Durch die zahlrei- chen Niederlassungen in den neuen Län- dern war der Bedarf an Einheiten so hoch, dass es zeitweise keine einzige mehr zu kau- fen gab. Unsere beiden Einheiten waren Rückläufer und wir griffen behände zu, ohne uns über die Finanzierung Gedanken zu ma- chen. Einen Kredit hatten wir nämlich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht, dafür ei- nen Einkauf für 200.000 DM getätigt. Die Kreditvergabe stellte sich aber später als un- problematisch heraus, obwohl wir keine Si- cherheiten hatten – nur unseren Trabant. Wir hatten wenig Berufserfahrung, keine be- triebswirtschaftlichen Vorstellungen und hohe Schulden. Aber wir waren voller Opti- mismus und unser Bestellbuch war vom ers- ten Tag an voll. Dies war auch mit viel Bauchschmerz und Rechnen verbunden, weil wir unsicher waren, ob unser zahnärzt- liches Tun ausreichte, um die hohen Schul- den irgendwann einmal zurückzahlen zu können.“ Claudia Espig „Aus der Planwirtschaft in die Marktwirt- schaft“ war kein Lehrstoff. „Sorge bereitete uns, wie denn das so alles zu meistern ist mit der Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit. Man konnte ja nie- manden im Umfeld groß dazu befragen. Woher sollte das viele Geld für eine Praxis kommen? Bei den Zahlen wurde einem schwindlig! Aber es war genau das, wonach wir eigentlich suchten: nach Autonomie, Freiheit in der Berufsausübung und Selbst- ständigkeit ohne erneute vertragliche Bin- dungen und Vorschriften. Als Gründungsmitglied der Bürgerbewe- gung NEUES FORUM sollte ich in das erste frei gewählte Parlament der Noch-DDR. Ich wollte aber nun endlich wieder für meine Frau und mein Kind da sein und das Studi- um ohne Pause abschließen. Also sagte ich dann zu, 1990 in den ersten Sächsischen Landtag als Abgeordneter für das NEUE FO- RUM zu ziehen und den ersten Aufbau aktiv als Vollzeitpolitiker zu begleiten. Das war ei- ne spannende und anstrengende Zeit. Nach vier Jahren Landtagstätigkeit existierte die für mich vorgesehene Poliklinik nicht mehr. Also bewarb ich mich 1995 in der Uniklinik Dresden und durfte dort nach einer Einar- beitungszeit wissenschaftlich arbeiten, Pa- tienten behandeln und Studenten ausbil- den. Die Freiheit, die mir dort zur Verfügung stand, führte letztlich dazu, dass ich all das in Ruhe ausprobieren und prüfen konnte, wofür man gewöhnlich in der Praxis keine Zeit hat. Ich konnte Tag und Nacht in die Uni und in das Labor – das war einfach toll. Leider wurden damals alle Stellen erbar- mungslos gekürzt. 2003 war dann auch mein befristeter Arbeitsvertrag beendet und ich konnte mit dem Kapital an Wissen in die eigene Praxis starten: Ich gründete eine Pri- vatpraxis in Dresden.“ Michael Arnold ks ! Dipl.-Stom. Michael Arnold, Zahn- arzt aus Dresden mit eigener Privat- praxis für Endodontie 1985 bis 1990 Studium an der Univer- sität Leipzig ! Dr. med. dent. Claudia Espig, Zahn- ärztin aus Gotha in eigener Gemein- schaftspraxis mit ihremMann Dr. med. dent. Andreas Espig 1984 bis 1989 Studium in Jena und Er- furt ! Dipl.-Stom. Michael Kirsten, Zahn- arzt aus Reichenbach (Vogtland) in eigener Gemeinschaftspraxis mit sei- ner Frau Dipl.-Stom. Simone Kirsten 1981 bis 1986 Studium an der Univer- sität Leipzig Kurzbiografien ” Wir waren jung und voller Tatendrang und in jedem Fall in Aufbruchsstimmung. Für uns war es der Beginn von etwas völlig Neuem, dem gegenüber wir sehr aufgeschlossen waren. Das Leben änderte sich in fast allen Bereichen. Mit viel Fleiß, Disziplin und hohem Engagement haben wir es vollbracht. Darauf darf man stolz sein. Michael Kirsten 96 Gesellschaft
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