Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 109, Nr. 22, 16.11.2019, (2506) Dass die Wahrheit etwas komplexer ist, hat damit zu tun, dass man in der Zahnmedizin nicht einfach ein bestimmtes Können ein- kauft wie in anderen Dienstleistungsbranchen. Beim Zahnarztberuf geht es darum, dass ein Patient mit einem Beschwerdebild kommt, er aber gar nicht wissen kann, was er denn kaufen soll, weil er das als Laie nicht beurtei- len kann. Deshalb geht er ja zum Arzt, um dort eben gerade nicht etwas einzukaufen, sondern um vor allen Dingen erst einmal einen guten Rat zu erhalten. Ginge es um das Einkaufen einer bestimm- ten Produktionsleistung, würde es tatsäch- lich reichen, wenn man wüsste, dass der An- bieter dieser Leistung sein handwerkliches Können beherrscht. Der Zahnarzt ist aber gerade deswegen kein Handwerker, sondern ein handwerklich tätiger Professioneller, weil seine Grundaufgabe nicht allein im Handwerklichen zu sehen ist, sondern im Herausfinden des Vorgehens, das dem Pa- tienten Hilfe verspricht. Die ärztliche, das heißt wissenschaftlich be- gründete Beurteilung eines Befunds und die Entwicklung eines auf den einzelnen Patien- ten zugeschnittenen Behandlungsplans ist ein zentraler professioneller Arbeitsschritt der Zahnärzte. Und wegen dieses Arbeits- schritts ist der Patient darauf angewiesen, dass der Zahnarzt nicht nur handwerklich geschickt und geübt ist, sondern dass er einen guten Rat erteilen kann. Während es für das Handwerkliche nur eines technischen Könnens bedarf, ist es für das Gefühl, gut beraten zu werden, notwendig, dass der Patient seinem Zahnarzt vertraut. Die Notwendigkeit des Vertrauens tritt also dort auf den Plan, wo der Patient gar nicht mehr beurteilen kann, ob das, was der Arzt empfiehlt, tatsächlich ein guter Rat ist oder nicht. Im Grunde ist es so, dass wir uns auf das technische Können verlassen, während wir für das Annehmen eines guten Rates Vertrauen brauchen. Warum ist das so? Um das zu verstehen und so auch zu verstehen, warum der Zahn- arztberuf ein Vertrauensberuf ist, kann es hilfreich sein, den Begriff des Vertrauens genauer in den Blick zu nehmen. Was also ist Vertrauen überhaupt und warum ist es, nicht nur in der Zahnmedizin, so essenziell? Es bleibt ein Rest Unsicherheit Von Vertrauen zu einem anderen Menschen lässt sich nur dort sprechen, wo etwas Un- sicheres und vor allem etwas Unkontrollier- bares im Raum schwebt. Vertrauen ist also eine Notwendigkeit für Situationen, die man nicht restlos kontrollieren kann. Ver- trauen heißt aber auch nicht nur Nicht- Wissen, sondern Vertrauen ist eine Art Mittelzustand zwischen Nichtwissen und Wissen [Simmel, 1908, S. 393]. Wer ver- traut, weiß etwas, aber er weiß, dass er keine Garantie hat. Der Soziologe Georg Simmel hat das wunderbar auf den Punkt gebracht, als er betonte, dass derjenige, der alles wüsste, kein Vertrauen bräuchte und derjenige der nichts wüsste, gar nicht vertrauen könnte [Simmel, 1908, S. 93]. Deutlich wird: Es bleibt beim Vertrauen im- mer ein Rest an Unsicherheit; anderenfalls wäre es kein Vertrauen, sondern eine Verein- barung. Dem Vertrauen ist somit das bereit- willige Akzeptieren eines Wissensdefizits in- härent, es ist eine Art Unsicherheitstoleranz. Wer vertraut, akzeptiert, dass er nicht so viel Eine philsophische Betrachtung Vertrauen ist das Bindemittel Giovanni Maio Wozu braucht man eigentlich Vertrauen in der Zahnmedizin? Es würde doch reichen, etwas über die Kompetenz des Zahnarztes zu wissen, sich also Sicherheit über sein Können zu verschaffen, und dann bräuchte man doch eigentlich kein Vertrauen, gerade bei so einem Beruf, der mit viel technischem Können einhergeht – könnte man denken. Fotos: AdobeStock/pict rider Es g ibt wenige Situationen, in den en sich der Mensch freiwillig ein er ihm eigentlich fremden Person so rüc k- haltlos ausliefe rt wie beim Zahnarzt. Er weiß, liegt e r erstmal auf dem Stuh l, gibt es kein Zurück. Die Be- handlung kann er mehr schlecht als re cht verfol gen, im Zweife l tut sie au ch noch we h. Will er im Erns tfall die Reiß leine ziehen , kann auch da s zum Pr oble m werden, denn sich zu artikulieren ist ja auch n ur einge- schränkt mögli ch. Eine rundum fiese Sache so ein Zahna rz tbesuch, sol lte ma n meinen. Warum also sprechen die allermeisten Deutsch en den- no ch so po sitiv über ihren Zah narz t? Lo be n ihre Zahnärztin und em p- fehlen s ie in de n höchsten Tönen we iter? Ve rt rauen ist das Stichwort. Nur weil der P atient s einem Zahn- arzt ver traut, l ässt er zu, dass in seinem Mun d he rumg efuh rwerkt wird. Er zählt dar auf, das s se in Zah n- ar zt das Richtige tut und hä lt des- halb diesen Kontrollve rlust aus. In diese r Ausgabe ist da s Them a Ethik in der Zahnarztpraxis unser Sc hwerpu nkt: Prof. Giovanni Ma io beleuc htet in nebe nstehendem Bei- trag den Wert de s Ve rtrauens als Gr undstein der Zahna rzt- Patienten- Bezieh ung in e iner philo soph ischen Be tracht ung. Dan ach disk utie ren in uns erem klinisch-et hischen Fall zwei Exp erten an hand ein er Koffer- dam-Behand lung, inwiewei t ein angestellter Zah narzt die Prinzipi en seines Chefs bei der Thera pie igno- ri eren darf – mit unters chiedl ichem Er ge bnis. » « Die Zahnarzt- Patienten- Beziehung

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