Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 109, Nr. 22, 16.11.2019, (2508) eines nicht-opportunistischen Verhaltens. Das ist der Kern des Vertrauensverhältnisses: Dem anderen wird unterstellt, dass er sein Verhalten nicht nach dem Wind richtet und einfach die Fahnen wechselt, wenn es seinen Interessen näherkäme, sondern dass der andere fest dabeibleibt, was er implizit versprochen hat, nämlich sich solidarisch zu zeigen mit dem Vertrauensgeber und seinem Vertrauensgut. Vertrauen ist somit nichts anderes als eine Loyalitätserwartung. Wenn wir vertrauen, dann unterstellen wir, dass der andere sich mit den Zielen, die uns am Herzen liegen, identifiziert. Wir unterstellen eine grund- legende Wertvorstellung, die mit der uns- rigen kompatibel ist und die fest verankert ist, also nicht opportunistisch zur Disposition gestellt wird. Wenn wir vertrauen, dann vertrauen wir nicht auf etwas Konkretes, sondern wir vertrauen auf die Treue des an- deren. Treue in dem Sinne, dass wir wissen, er wird unsere Sache nicht verraten, wird das Lager nicht wechseln, wird unbeirrt sich für das einsetzen, was in seine Hände gelegt wurde. Letzten Endes hat Vertrauen mit der Gewiss- heit der restlosen Unkorrumpierbarkeit des anderen zu tun. Wer das Vertrauen an- nimmt, gibt damit in gewisser Weise eine Treueerklärung ab, und eine Treueerklärung ist nichts anderes als ein Versprechen. Genau aus diesem Grund sprechen wir auch von dem Zahnarztberuf als einer Profession, weil schon im Begriff der Profession dieses Versprechen mit verankert ist [Maio, 2018]. Ein Professioneller ist jemand, der verspricht, die Ziele der Profession nicht zu verraten. Deswegen ist das Vertrauensverhältnis auch ein Grundcharakteristikum einer jeden Pro- fession. Arztsein: Die Treue zum sozialen Ideal ist der Kern An diesen entwickelten Merkmalen des Ver- trauens lässt sich unschwer ablesen, wie wichtig es heute ist, sich die Notwendigkeit des Vertrauens neu zu vergegenwärtigen. Die Treuebeziehung ist eine werteorientierte emotionale Beziehung – und damit entzieht sie sich dem Verwertungskalkül rein ökono- mischer Logiken. In unserer Zeit wird vom System her den Ärzten implizit beigebracht, Treueverhältnisse für obsolet zu erklären, aber das wendet sich gegen die Professiona- lität und gegen die Arbeitszufriedenheit der Zahnärzte. Zahnmedizin zu betreiben ist vor allem des- wegen so sinnstiftend und erfüllend, weil man das Gefühl hat, anderen Menschen zu helfen. Damit die Zahnärzte ihren Patienten, die sich ratsuchend an sie wenden, eine hel- fende Antwort geben können, muss ihnen ermöglicht werden, ohne moralische Disso- nanz ihrem Auftrag zu folgen. Dem Auftrag zu folgen, anderen zu helfen heißt, sich persönlich zu binden an ein soziales Ideal, von dem sich sagen lässt, dass ohne dieses Ideal Medizin nicht Medizin sein kann. Und die Treue zu diesem Ideal macht die Zahn- medizin erst als Medizin aus. Daher ist die Treue des Arztes zu seiner sozialen Ziel- setzung nicht nur ein Add-on, sondern es ist der Markenkern des Arztseins. Prof. Dr. med. Giovanni Maio, M.A. phil. Lehrstuhl für Medizinethik Institut für Ethik und Geschichte der Medizin Stefan-Meier-Str. 26 79104 Freiburg i. Br. maio@ethik.uni-freiburg.de Literatur: Hartmann, Martin: Die Praxis des Vertrauens. Frankfurt a.M.: Suhrkamp, 2011 Laucken, Uwe: Zwischenmenschliches Vertrauen. Rahmenentwurf und Ideenskizze. Oldenburg: Bibliotheks- und Informations- system 2001 Maio, Giovanni: Werte für die Medizin. Warum die Heilberufe Ihre eigene Identität verteidigen müssen. München: Kösel, 2018 Simmel, Georg: Soziologie. Untersuchungen über die Formen der Vergesellschaftung. Gesamtausgabe, Band 11, herausgegeben von Otthein Rammstedt. Frankfurt a. M.: Suhrkamp 1992 (1908) Foto: Silke Wernet

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