Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 109, Nr. 22, 16.11.2019, (2485) Betrachtet man all die Gesetze und Geset- zessentwürfe im Gesundheitswesen der letzten 20 Jahre, würde ich mir für das The- ma Digitalisierung mittlerweile mehr per- sönliche Vergesslichkeit wünschen. So et- was wie selektiver BMG-Digital-Alzheimer wäre vielleicht nicht das Schlechteste. Mein Blutdruck bliebe moderat und ich könnte bei jedem Digitalthema, das der beamteten Gedankenbrutstätte entspringt, immer wie- der unbelastet beginnen. Doch leider ist das Gegenteil der Fall! Und so erreicht mein Blutdruck schneller kritische Höchst- stände als Jens Spahn das Adenauer-Mantra aufsagen kann: „Was interessiert mich mein Geschwätz von gestern“. Nur zur Erinne- rung, sein Geschwätz lautete: „Der Patient ist Herr seiner Daten“, gerne noch garniert mit „immer und überall“. Aus und vorbei, das Digitale Versorgung- Gesetz (DVG)* setzt neue Maßstäbe. War der Datenschutz trotz der gefühlten Ver- schärfung durch die Datenschutz-Grund- verordnung DSGVO schon immer mehr Lattenzaun als Mauer, wird mit den neuen Vorschlägen zur Datennutzung aus Latten- zäunen ein Hauch von Nichts. Jetzt geht es nämlich um Höheres: die Sozialforschung, für die man natürlich Daten der Kranken- versicherten wie Alter, Geschlecht, Wohn- ort und Behandlungen braucht. Neu ist, dass der Versicherte seine Daten ungefragt zu liefern hat. Punkt – eine Widerspruchs- lösung hat der Gesetzeber nicht vorgesehen. Auch die Lieferkette hat es in sich. Die Krankenkassen sollen die pseudonymisier- ten Daten ihrer Versicherten an den GKV- Spitzenverband übermitteln, dieser wieder- um an das sogenannte „Datenforschungs- zentrum“, wo sie zentral(!) gespeichert werden und der Forschung zu Diensten sind. In den ersten Entwürfen zum DVG fand sich noch die Regelung, dass die Kas- sen Klarnamen an den GKV-SV schicken, die dann dort pseudonymisiert werden soll- ten. Das war dann wohl doch etwas zu hei- kel (oder zu offensichtlich?), und so werden nun vor der Weitergabe die Kassen statt der Krankenversichertennummer oder eines entsprechenden Versichertenkennzeichens „ein versichertenbezogenes Lieferpseudo- nym verwenden, welches eine krankenkas- senübergreifende eindeutige Identifikation des Versicherten innerhalb des Berichtszeit- raums ermöglicht“. Wo bitte ist da der fak- tische Unterschied beziehungsweise die Verbesserung durch den Wechsel von Klar- daten auf ein versichertenbezogenes Lie- ferpseudonym? Zumindest klingt es ein wenig mehr nach Datenschutz. Welche Forschung mit diesen Daten und vor allem von wem geleistet werden soll, ist wohl- weislich nicht definiert worden. Wird dieses Gesetz so beschlossen, ist die zentrale Spei- cherung zwangsweise erhobener Gesund- heitsdaten von 73 Millionen gesetzlich Ver- sicherten perfekt. Bei der Diskussion um das Organspendegesetz hatte man den Bürgern immerhin noch eine Wahlmöglich- keit zugestanden, wenn auch nur mit einer komplizierten Opt-out-Regelung. Der Patient kann nicht Herr seiner Daten sein, wenn er gleichzeitig zur Zwangsliefe- rung sensibelster persönlicher Gesundheits- daten – wenn auch „nur“ zur Forschung – verdonnert wird. Diese fundamentale Kehrtwende hätte einer breiten und einer Demokratie würdigen Diskussion bedurft. Statt dessen wird sie en passant in einem Gesetz „versteckt“. Aber vielleicht ist es ja auch nur Weitsicht des Ministers, der den Forschungsstandort Deutschland gegen- über den großen Datenkonzernen aus den USA stärken will, frei nach dem Motto: „Gleiche Daten für alle“. Immerhin verfü- gen Google & Co. dank der hochgelobten Apps über umfassende Kenntnisse. Ob Arztbesuche, Krankenhausaufenthalte, Risi- kofaktoren, Gesundheitsverhalten – alle diese Daten sind bereits vorhanden und es werden stetig mehr, dank immer häufiger genutzter Apps wie ADA oder Vivy. Insofern würde Spahn sogar eine tatsächliche „Lü- cke“ schließen. A propos Lücke: Warum sind eigentlich die Privatversicherten nicht dabei? Statt angeblicher Zweiklassenmedi- zin haben wir zukünftig realen Zweiklassen- datenschutz. Aber an dem kann man sich ja dann mit einem weiteren Gesetz abarbei- ten. Für allfällige Diskussionen bietet sich der Hinweis auf die Autoversicherer an, denn die haben bereits Telematik(!)tarife im Angebot. Beworben mit erheblichen Ein- sparungsmöglichkeiten findet sich im Klein- gedruckten der Hinweis, dass sich die Kos- ten auch erhöhen können – bei risikobehaf- tetem Verhalten. Aber vielleicht will die Ge- sundheitspolitik ja auch genau dahin … Foto: zm-Axentis.de Datenschutzabbau als Versorgungsinnovation Dr. Uwe Axel Richter Chefredakteur * Der Bundestag stimmte nach Redak- tionsschluss am 7. November über den Gesetzentwurf zum DVG ab. 3 Editorial
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