Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 109, Nr. 22, 16.11.2019, (2514) Haftungs- und Arbeitsrechts stehen. Selbst- verständlich kann unabhängig davon Dr. B. gewisse Qualitätsstandards für die Wurzel- kanalbehandlung mit P. besprechen, aber nicht davon die Anstellung von P. entgegen den Bestimmungen der Berufsordnung ab- hängig machen. In diesem Zusammenhang können die Qualitätsrichtlinien endodontischer Behandlungen, die von der Europäischen Gesellschaft für Endodontologie (European Society of Endodontology) in Form eines Konsenspapiers erarbeitet wurden, nur eine Orientierung sein, obwohl darin gefordert wird, dass der Zahn bei einer Wurzelkanal- behandlung generell mit Kofferdam isoliert werden sollte [www.dget.de ]. Abschließend noch zur Rolle und zum Verhalten der Zahnmedizinischen Fach- angestellten M. bei diesem Fall und zum Verhalten von P. ihr gegenüber: Auch zu diesem Sachverhalt gibt die Berufsordnung eine eindeutige Antwort: „Der Zahnarzt ist verpflichtet, Auszubildende, Zahnarzthelfe- rinnen/Zahnmedizinische Fachangestellte, Zahnmedizinische Fachassistentinnen, Zahnmedizinische Verwaltungsassistentin- nen und Dentalhygienikerinnen auf die Grenzen ihrer Tätigkeit hinzuweisen“ [LZK Baden-Württemberg, 2015]. Das bedeutet aber nicht, dass die von P. gegenüber M. ausgesprochenen Drohungen gerechtfertigt wären. Hinzu kommt, dass der respektvolle Umgang des Zahnarztes mit dem Praxis- personal für eine gute Arzt-Patienten-Bezie- hung sehr wichtig ist, da für die meisten Pa- tienten neben der medizinischen Betreuung im Behandlungsraum auch die Atmosphäre in der Praxis von großer Bedeutung und die Grundlage für Wohlbefinden und Vertrauen ist. (Literatur bei der Autorin) Dr. med. dent. Gisela Tascher Holzerplatz 4 66265 Heusweiler kontakt@dres-tascher.de M. wird durch das Handeln von P., insbe- sondere auch durch dessen Androhungen, in eine unzumutbare Situation versetzt. Sie fühlt sich dem Praxiskonzept des Inhabers Dr. B. verpflichtet und hat im Rahmen der endodontischen Behandlung in äußerst diplomatischer Form P. darauf hinweisen wollen. Dessen unverhohlene Androhung bringt sie in ein Dilemma zwischen den von ihr verinnerlichten Qualitätsansprüchen und möglichen Benachteiligungen, sofern sie Dr. B. informiert. Im Folgenden soll nicht erörtert werden, ob Kofferdam in jeder Situation unverzichtbar ist. Es werden auf der Grundlage des dar- gestellten Praxiskonzepts das Verhalten des Zahnarztes P. und die Optionen der ZFA M. beleuchtet. Dieser Kommentar bezieht sich nur auf das in der Fallbeschreibung darge- stellte, durch wissenschaftliche Studien ab- gesicherte Konzept und kann aus nahelie- genden Gründen nicht auf Praxiskonzepte, deren Ziel nicht immer zwingend auf das Patientenwohl ausgerichtet ist, übertragen werden. Betrachten wir das Verhalten von P. und M. anhand der vier Grundsätze der Prinzipien- ethik nach Beauchamp und Childress: Non-Malefizienz (Nichtschadensgebot): Der Kofferdam wird im Rahmen endodon- tischer Behandlungen zur Vermeidung der Kontamination des Arbeitsfeldes empfohlen. In vielen Situationen lässt sich sein Einsatz durch gut durchgeführte relative Trocken- legung sicherlich vermeiden. Aufgrund der Fallskizze lässt sich nicht abschließend be- urteilen, ob durch den fehlenden Kofferdam ein Schaden entstanden ist. Potenziell lässt sich dies jedoch nicht ausschließen. Somit wird seitens P. der Verstoß gegen dieses Prinzip zumindest billigend in Kauf ge- nommen. Das von M. angeratene Vorgehen ist für den Patienten in keiner Hinsicht schädlich. Benefizienz (Wohltunsgebot): Bezüglich des Prinzips des Wohltuns gibt es Punkte für und gegen den Einsatz des Kof- ferdams. Für viele Patienten ist die Behand- lung unter Kofferdam unangenehm. Es ließe sich argumentieren, dass P. somit dem Pa- tienten etwas Gutes tut, indem er dieses un- angenehme Gefühl umgeht. Dieser Effekt ist allerdings nur auf den Zeitraum der Behand- lung begrenzt. Das Konzept, dem Patienten kurzfristig etwas Gutes zu tun, damit aber langfristige Komplikationen oder gar Schäden in Kauf zu nehmen, entspricht allerdings nicht den Ansprüchen an ärztliches Handeln. Der mögliche langfristige positive Effekt eines kontaminationsfreien Arbeitsfelds während der Behandlung überwiegt bei Weitem. M. rät zu einem für die Patienten länger- fristig mit weniger Risiken verbundenen Vorgehen. Somit ist ihr Handeln auf das Patientenwohl ausgerichtet. Patientenautonomie: P. verstößt, sofern er seine Patienten nicht ausschließlich aus dem eigenen Umfeld ge- winnt, möglicherweise gegen das Prinzip der Patientenautonomie. Es ist davon aus- zugehen, dass das kommunizierte und über Jahre etablierte Konzept der Patientenver- sorgung und dessen gute Behandlungs- ergebnisse einen, wenn nicht sogar den vorrangigen Grund dafür darstellen, dass Patienten eben diese Praxis aufsuchen. Der Verzicht von P. auf den Kofferdam und somit die Abweichung von diesem kommunizier- ten Konzept liefert also den behandelten Pa- tienten eine abweichende Therapie von der von ihnen (im Gesamtkonzept) gewählten. Zumindest sollte er diese Abweichung mit dem Patienten kommunizieren. M. respektiert diese Entscheidung, indem sie auf die Umsetzung des Konzepts drängt. Gerechtigkeit: Die Drohung von P. gegenüber der ZFA M., die sich tadellos verhalten hat, ist als Mob- Kommentar Dr. Dirk Leisenberg Der Zahnarzt mobbt und hintergeht den Chef! Foto: privat 32 Vertrauen ist die Basis
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