Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 109, Nr. 22, 16.11.2019, (2518) Ein 64-jähriger Mann suchte in den ver- gangenen 35 Jahren eine Reihe von Ärzten und die neurologische Ambulanz eines Krankenhauses wegen schwerer chronischer Migräne auf. Er reagierte nicht angemessen auf verschiedene Analgetika. Während die- ser Zeit wurden ihm mehrere Zähne extra- hiert und restauriert – ohne Linderung seiner Kopfschmerzen. Diese blieben trotz Kombinationsmedikation von dreimal täglich orales Paracetamol 250 mg, Aspirin 250 mg und Koffein 65 mg weiterhin bestehen. Zu- letzt nahm er dreimal täglich 60 mg Codein- phosphat-Hemihydrat und 1 g Paracetamol ohne angemessene Reaktion ein. Daraufhin wurden mehrere Zähne mit Wurzelkanalverfahren und Restaurationen behandelt. Die Kopfschmerzen traten je- doch häufiger und schlimmer auf, bis er drei bis fünf Episoden pro Woche hatte. Die Attacken begannen morgens oder abends und dauerten ein bis drei Tage, insbesondere wenn keine Analgetika ein- gesetzt wurden. Die Schmerzen begannen gewöhnlich all- mählich bilateral in den Schläfenregionen und strahlten jeweils in die Frontal- und Parietalregionen aus und waren immer auf der rechten Seite stärker. Zusätzliche be- gleitende autonome Symptome wie eine Bindehautinjektion, Tränenfluss, verstopfte Nase, Rhinorrhoe oder Schweiß auf Stirn und Gesicht traten nicht auf. Das Kopfschmerzmuster erfüllte die vier diagnostischen Kriterien für chronischen Migränekopfschmerz gemäß der Internatio- nalen Klassifikation für Kopfschmerzerkran- kungen 3. Auflage (ICHD-3). Angenommen wurde, dass der Patient zu Beginn an Migräne litt, die durch Sumatrip- tan gelindert wurde. Im Verlauf der Therapie musste dieses Medikament aufgrund von starkem Schwindel beim Patienten jedoch abgesetzt werden. Die vorbestehenden primären Kopfschmer- zen dauerten mehrere Jahre. Die Häufigkeit und die Schwere der Kopfschmerzen nahmen in enger zeitlicher Beziehung zu den Mani- festationen von Zahnpathologien zu. Die Kopfschmerzen besserten sich zwar nach jedem zahnärztlichen Eingriff signifikant, hielten aber an. Diese Befunde deuteten auf das Vorhandensein eines assoziierten sekun- dären Kopfschmerzes hin. Nach der Analyse erfüllte der Patient auch die allgemeinen diagnostischen Kriterien für sekundäre Kopfschmerzen. Untersuchung Bei der abschließenden Untersuchung ergab die Kontrolle des Mundes zunächst keinerlei Anzeichen auf Zahnfleisch- oder andere orale Erkrankungen oder Tumore. Die Zähne wiesen umfangreiche Restaurationen auf; eine Perkussion der Zähne erzeugte keine „Triggerzonen von Schmerz oder Reaktion“. Der Schädelschmerz wurde durch eine pas- sive oder unterstützte Kieferbewegung, -funktion oder -parafunktion nicht verän- dert. Es gab keine Familienanamnese einer Kiefergelenkserkrankung. Weitere relevante Befunde wurden nicht ge- funden. Schließlich wurde bei dem Patienten chronischer Migränekopfschmerz ohne Aura (1.3 ICHD-3) diagnostiziert, der durch multiple orale Gesichtspathologien (11.9 ICHD-3), die das Trigeminusnervensystem betrafen, anhaltend verlängert wurde. Fallreport aus dem British Medical Journal 35 Jahre Migräne – vom Zahnarzt geheilt Ein Mann litt 35 Jahre an schwerer chronischer Migräne. Wiederholte Unter- suchungen ergaben keine Diagnose, auch hohe Dosen verschiedener Analgetika erbrachten keine Besserung. Erst eine radiologische Untersuchung zeigte die Ursache. Zahnschmerzen, die sich als Kopfschmerzen präsentieren: Nach operativer Entfernung der be- troffenen Zähne einschließlich der Abzesse und anschließender Antibiotikatherapie gingen die Kopfschmerzen zurück und verschwanden schließlich ganz. Foto: AdobeStock/peterschreiber.media 36 Zahnmedizin

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