Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 109, Nr. 22, 16.11.2019, (2520) Der Kieferchirurg des Patienten wurde informiert, und nach körperlichen und radiologischen Untersuchungen stellte er zwei Abszesse fest. Der obere rechte dritte Molar und der untere rechte zweite Molar, die mit den Abszessen assoziiert waren, wur- den chirurgisch extrahiert. Die Antibiotika- therapie wurde mit 875 mg Amoxicillin und 125 mg Clavulanat-Kalium zehn Tage lang zweimal täglich oral abgeschlossen. Seine parodontale Gesundheit wurde durch supra-/ subgingivale Skalierung und Mundhygiene verbessert. Die Kopfschmerzen besserten sich allmählich und gegenwärtig, 24 Monate später, ist der Patient schmerzfrei, ohne Analgetika oder Rezidive. Differenzialdiagnose Die Bewertung der Kopfschmerzen erfolgte gemäß ICHD-3.1. Alle Unterschiede wurden ausgeschlossen und bei dem Patienten wurden chronische Migränekopfschmerzen (1.3 ICHD-3) und multiple Zahnpatholo- gien (11.6 ICHD-3) diagnostiziert, die chro- nische Schmerzen verursachten – seit 35 Jahren. Behandlung Die Behandlungen umfassten die chirurgische Entfernung nekrotischer Zähne mit Zahn- abszessen. Die Wiederherstellung kariöser Zähne mit Amalgam/Komposit und die Wurzelkanalbehandlungen wurden auf Er- folg und parodontale Versorgung unter- sucht. Die Antibiotika- und Analgetika- Therapie wurde entsprechend und erfolg- reich verabreicht. Ergebnis und Follow-up Der Patient erholte sich nach der Operation stetig und wurde schließlich aus der Neuro- logie und Zahnklinik entlassen. Er war völlig frei von Kopfschmerzen. 24 Monate später hatte sich seine Lebensqualität nach eigener Aussage deutlich verbessert. Diskussion Kopfschmerzen und Zahnschmerzen wer- den vom selben Nerv übertragen, dem Trigeminusnerv. Es ist ein wohlbekanntes Phänomen, dass eine Migräne in V2- und V3-Verteilungen des Trigeminusnervs auf- treten kann und Zahnschmerzen imitiert, aber es gibt selten Berichte über Zahn- schmerzen, die sich als Kopfschmerzen prä- sentieren. Ein weiteres bekanntes Phänomen ist, dass jede schmerzhafte Verletzung des Territoriums der Trigeminusnerven Kopf- schmerzen bei Patienten hervorrufen kann, die anfällig für Kopfschmerzen sind. Multiple orale Zahnpathologien gehören zu den nozizeptiven Beschwerden, die die primären und die sekundären Trigeminus- Afferenzen betreffen. Chronische Abszesse verursachen lokale Entzündungsprozesse, nekrotisches Gewebe, die Freisetzung von Schmerzmediatoren und eine lokale Gewebehypoxie. Diese Abnormalitäten können das trigemino-vaskuläre System mit anschließender Aufrechterhaltung der neurovaskulären Überempfindlichkeit be- einflussen. Mit diesem hypersensiblen Zu- stand entwickelt sich die episodische Migräne schließlich zu einer chronischen Migräne, die durch die chronischen oralen Erkrankungen verschlimmert und zeitlich verlängert werden kann. Erst nachdem die oralen Erkrankungen voll- ständig abgeklungen waren, wurde beim beschriebenen Patienten der therapeutische Ansatz gegen die chronische Migräne wirk- sam. Dies kann ein Beleg für das Vorhanden- sein einer Sensibilisierung des trigemino- vaskulären Systems bei dem Patienten sein. Fazit Die Diagnose Schädelschmerzen erforderte einen multidisziplinären Ansatz durch die Zusammenarbeit von Zahnarzt und Neuro- loge. Mediziner sollten den Forschern zu- folge orale Pathologien als Ursache oder als erschwerende Faktoren für Kopfschmerzen stärker in Betracht ziehen. Zudem sei not- wendig, dass Zahnärzte, Oral- und Kiefer- chirurgen bei ihrer Arbeit über den Bereich des Mundes hinausgehen und auch das Vor- handensein von Kopfschmerzen bei ihren Patienten erfragen. Die Patienten sollten in diesem Fall zur weiteren Beurteilung und Behandlung an eine neurologische Klinik überwiesen werden. ks Quelle: A. J. Reyes, K. Ramcharan, R. Maharaj: Chronic migraine headache and multiple dental pathologies causing cranial pain for 35 years: the neurodental nexus. Published in British Medical Journal, BMJ case reports. DOI: http://dx.doi.org/10.1136/bcr-2019– 230248. Kopfschmerzen gehören zu den häufigs- ten Erkrankungen des Nervensystems. In Deutschland sind knapp 40 Prozent der Erwachsenen mehrmals im Monat betrof- fen. Drei Viertel der 18- bis 29-Jährigen leiden mindestens einmal im Monat unter Kopfschmerzen. Viele Patienten werden häufig chronisch, ineffektiv und empirisch behandelt, weil die Ursache ihrer Symp- tome nicht aufgedeckt wird. Bei der Ätiopathogenese von Schädel- schmerzen fällt der Verdacht selten auf okkulte orale Pathologien. So können Hohlräume, Knochenschwund aufgrund von Parodontitis, Abszesse, betroffene Zähne, Zysten und Tumore über einen län- geren Zeitraum unbemerkt bleiben und Schmerzen verursachen, die nicht unmit- telbar auf eine orale Pathologie schließen lassen. Auch eine chronische Infektion der Pulpa durch schwach virulente pyogene Organismen kann sehr langsam zu Gewebe- veränderungen führen, die über einen län- geren Zeitraum nicht bemerkbar sind. Der Fall zeigt, dass diese Zusammenhänge hier über 35 Jahre übersehen wurden. Mit der Veröffentlichung der Fallstudie möch- ten die Autoren an den möglichen Zusam- menhang von Kopfschmerzen und oralen Erkrankungen erinnern. \ Kopfschmerzen und orale Erkrankungen 38 Zahnmedizin
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