Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22
zm 109, Nr. 22, 16.11.2019, (2532) Eine internationale Forschergruppe fand jetzt heraus, dass eine Infektion mit dem Virus zu einer lang anhaltenden Immunsuppression führen kann. Gründe für die Immunschwäche sahen die ForscherInnen in Veränderungen des B-Zell-Apparats: Durch die Infektion steigt die Virenlast im Blut von Erkrankten (Virämie), gleichzeitig sinkt die Lymphozytenzahl dra- matisch ab (Lymphopenie). Nach der durch- gemachten Infektion erholt sich die Lympho- zytenzahl nach dem Verschwinden des Masern-assoziierten Hautausschlags innerhalb von vier Wochen. Der B-Zell-Pool jedoch, also die Menge frei zirkulierender naiver B-Lymphozyten (reife B-Zellen, die bisher keinen Kontakt zu einem Antigen hatten) im Blut, bildet sich nur unvollständig zurück. Immungedächtnis mit Amnesie Zudem wird die Ausbildung von B-Gedächt- niszellen gestört. Diese spezialisierten B-Zellen gehen aus aktivierten B-Zellen beim Kontakt mit einem Antigen hervor – bei erneutem Kontakt mit demselben Antigen werden sie sofort aktiviert und können innerhalb weni- ger Stunden eine Immunreaktion auslösen. Ohne sie schwächelt das Langzeitgedächtnis des Immunsystems. Die ForscherInnen analysierten die Rezeptor- vielfalt der Immunzellen und die Entwicklung der B-Gedächtniszellen bei ungeimpften Personen mit und ohne vorangegangene Maserninfektion sowie bei gegen Masern ge- impften Personen. Während die genetische Zusammensetzung und Vielfalt der B-Ge- dächtniszellen bei Personen ohne Masern- infektion und bei geimpften Personen stabil blieb, fanden sich bei Personen nach Ma- serninfektionen eine signifikante Zunahme der Mutations- frequenz und ver- mehrt unreife B-Zellen – aufgrund einer beeinträchtigten B-Zellreifung im Knochen- mark. Bei etwa zehn Prozent der Personen, die eine Maserninfektion durchgemacht hatten, war die Vielfalt der Immunzellen so- gar sehr stark beeinträchtigt. Die Ergebnisse zeigen, dass eine Masern- infektion die Vielfalt der naiven und der Gedächtnis-B-Lymphozyten verändert, die nach dem Abklingen der klinischen Masern- erkrankung bestehen bleiben und somit zu einer beeinträchtigten Immunität gegen frühere Infektionen oder Impfungen beitra- gen. Das Immungedächtnis „vergisst“, mit welchen Erregern es bereits in Kontakt kam. Sekundärerkrankungen nehmen zu Im Tierversuch wurde außerdem die erhöhte Inzidenz für Sekundärinfektionen untersucht: Zunächst wurde durch eine Influenza- Impfung ein immunologischer Schutz ge- gen ein Grippevirus aufgebaut. Als Masern- verwandte primäre Viruserkrankung nutzten die Forscher eine Morbillivirus-Infektion (Hundestaupevirus CDV). Das Team konnte belegen, dass die durch eine Influenza- Impfung erworbene Immunität gegen das Influenzavirus nach der durchgemachten Primärinfektion mit dem Morbillivirus deut- lich erschöpft ist. Dies führte zu einer beein- trächtigten Immunantwort und zu einer er- höhten Schwere der Erkrankung nach einer sekundären Influenzavirus-Exposition. Insgesamt konnte bewiesen werden, dass die immunologischen Folgen von Masern bis mehrere Jahre nach der Infektion anhalten und zu einer erhöhten Kindersterblichkeit führen. Laut einer Kohortenstudie aus Groß- britannien hatten 10 bis 15 Prozent der Kinder fünf Jahre nach der Maserninfektion Anzeichen einer Immunsuppression, die zu einer erhöhten Inzidenz von Sekundär- infektionen führte. Studien bei Makaken legen ähnliche Mechanismen der Immun- suppression, der Hemmung der Lympho- zytenproliferation und Erschöpfung des immunologischen Gedächtnisses nahe. Die genauen Mechanismen beim Menschen sind jedoch nach wie vor unbekannt. Fakt ist: Obwohl sich der Spiegel aller zirkulierenden Lymphozyten vier Wochen nach der Infektion erholt, bleibt die Erschöpfung spezifischer B- und T-Gedächtniszellen-Untergruppen be- stehen. Inwieweit diese Zellen ihre gesamte Bandbreite an Antigenspezifitäten wieder- erlangen, um eine effiziente Erkennung neuer Antigene zu gewährleisten und Reak- tionen auf zuvor angetroffene abzurufen, bleibt unklar. ks Masern-Studie Das Immungedächtnis wird gelöscht Schon länger ist bekannt, dass das hochinfektiöse Masernvirus (MeV) das Immunsystem schwächt. Entgegen der landläufigen Meinung ist eine durchgemachte Maserninfektion aber kein Boost für den Körper. Im Gegenteil: Das Immunsystem ist bis zu Jahre danach geschwächt und das Immungedächtnis gelöscht. Velislava N. Petrova, Bevan Sawatsky, Alvin X. Han, Brigitta M. Laksono, Lisa Walz, Edyth Parker, Kathrin Pieper: Incomplete genetic reconstitution of B cell pools contributes to prolonged immunosuppression after measles. Published in Science Immunology 1 November 2019. DOI: 10.1126/sciimmunol.aay6125. Quelle Foto: AdobeStock/Prostock-studio 50 Medizin
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