Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 22

zm 109, Nr. 22, 16.11.2019, (2558) hindern. Man geht daher heute davon aus, dass Fluorid zusätzlich posteruptiv an der Zahnoberfläche vorliegen muss, um eine kariespräventive Wirksamkeit zu entfalten. In zahlreichen internationalen Leitlinien wird die Evidenz für die Fluoridwirkung beschrieben. Dabei wird insbesondere auf die Wirkung und Wirksamkeit fluoridhaltiger Zahnpasten Bezug genommen. In einem neuen systema- tischen Review der Cochrane Library wird deutlich unterstrichen, wie wichtig das Zähne- putzen mit fluoridhaltiger Zahnpasta ist. Unabhängig davon kann bei kariesaktiven Patienten die Applikation von fluoridhaltigen Gelen, Lacken oder Mundspüllösungen emp- fohlen werden. Insbesondere bei Patienten mit Wurzelkaries zeigt sich, dass die tägliche Anwendung hochkonzentrierter Zahnpasten zur Prävention beziehungsweise Verhinderung der Progression zu empfehlen ist. Dies gilt auch für Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko auf- grund von festsitzenden kieferorthopädischen Geräten. Allerdings zeigt sich auch, dass bei hohem Zuckerkonsum die Applikation von fluoridhaltigen Kariostatika die Karies nicht vollständig verhindern kann. Im Hinblick auf immer wieder behauptete schädliche Neben- wirkungen einer Fluoridapplikation zeigen zahlreiche Studien, dass Fluorid keine Allergien auslöst, kein ätiologischer Faktor für Tumor- erkrankungen oder Allgemeinerkrankungen ist, nicht die Sterblichkeitsrate erhöht und somit in den empfohlenen Dosierungen un- bedenklich angewandt werden kann. Fluoride für Kinder Dies gelte selbstverständlich auch für die Anwendung fluoridhaltiger Produkte bei Kindern, ergänzte Prof. Dr. Katrin Bekes, Wien, und präsentierte in ihrem Referat „Wirksame und sichere Anwendung fluorid- haltiger Produkte – Spezielle Maßnahmen bei Kindern“ die neuen Fluoridierungsempfeh- lungen für diese Altersgruppe. Für Kinder gibt es seit dem vergangenen Jahr neue Empfehlungen für den Gebrauch fluorid- haltiger Zahnpasten, die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinderzahn- heilkunde (DGKiZ), der Deutschen Gesellschaft für Präventive Zahnmedizin (DGZPM) sowie weiterer Experten aus Deutschland, Österreich, der Schweiz und den Niederlanden verabschie- det wurden. Diese sehen vor, dass bereits ab dem Durchbruch des ersten Milchzahnes zwei- mal täglich mit einer erbsengroßen Menge einer Zahnpasta mit 500 ppm oder mit einer reiskorngroßen Menge einer Zahnpasta mit 1.000 ppm geputzt wird. Vom zweiten bis zum sechsten Lebensjahr sollte dann zweimal täg- lich eine Zahnpasta mit 1.000 ppm in einer erbsengroßen Menge verwendet werden. Anlass für die Neustrukturierung ist die Tat- sache, dass der Kariesrückgang im Milchge- biss im Vergleich zu den bleibenden Zähnen deutlich geringer ausfällt. Zudem werden international schon längst Zahnpasten mit höherer Fluoridkonzentration für Kinder bis zum sechsten Geburtstag empfohlen. Eine weitere Neuerung gibt es im Bereich der Applikation von Fluoridlacken im Kleinkind- alter. Das Auftragen dieser Lacke ist für Kin- der zwischen dem 6. und dem 34. Lebens- monat seit diesem Jahr eine Kassenleistung geworden. Der Anspruch besteht zweimal je Kalenderhalbjahr, unabhängig davon, ob bei den Kindern eine (initial-)kariöse Läsion vorliegt. Kinder zwischen dem 34. Lebens- monat und dem vollendeten 6. Lebensjahr haben weiterhin unverändert Anspruch auf Fluoridierung bei hohem Kariesrisiko. Prof. Dr. Johannes Einwag Direktor des Zahnmedizinischen Fortbildungs- Zentrums Stuttgart (ZFZ Stuttgart) Die Aktualisierung von Leitlinien ist ein zeit- raubender Prozess und muss von zahlreichen Fachgesellschaften konsentiert werden. Beim anstehenden Update der inzwischen abgelaufenen Leitlinie „Fluoridierungs- maßnahmen zur Kariesprophylaxe“ aus dem Jahr 2013 dürfte das nicht anders sein, wobei die Diskussionen mit den Pädiatern um die Tablettenfluoridierung vermutlich unverändert schwierig bleiben werden. Auf der zahnärztlichen Seite ist mit der nach wie vor hohen Prävalenz der Milchzahn- karies in den vergangenen Jahren der Hand- lungsdruck gewachsen. Im Sommer 2018 haben deshalb die Deutsche Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ), die Deutsche Gesell- schaft für Präventivzahnmedizin (DGPZM), die Deutsche Gesellschaft für Kinderzahn- heilkunde (DGKiZ), der Bundesverband der Zahnärztinnen und Zahnärzte des öffent- lichen Gesundheitsdienstes (BZÖG) und die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) die Ini- tiative ergriffen und neue Fluoridempfeh- lungen veröffentlicht. Kernpunkt war die Erhöhung der Fluoridkonzentration in Kinderzahnpasten, mit der die Karies an Milchzähnen zurückgedrängt werden soll. Ein Jahr nach Veröffentlichung der neuen Fluoridempfehlungen ist in der Öffentlich- keit immer noch Verunsicherung zu spüren. So verweist ein Bericht von Ökotest – „Fluorid- tabletten für Kinder im Test: Das sind die besten Präparate“ – vomAugust 2019 noch auf die veraltete Leitlinie „Fluoridierungs- maßnahmen zur Kariesprophylaxe“ und betont die Differenzen zwischen Zahn- medizinern und Pädiatern. Auch viele Pa- tienteninformationen sind noch nicht auf dem aktuellen Stand. Hersteller von Fluorid- zahnpasten für Kinder entwickelten unter- schiedliche Produkte – mal auf der Basis der abgelaufenen Leitlinie, mal nach den neuen Empfehlungen. Von der entstandenen Unsicherheit könn- ten nicht zuletzt die Fluoridgegner und Hersteller fluoridfreier Zahnpasten profi- tieren. Das würde den Bemühungen der Fachgesellschaften und der Zahnärzte- schaft um mehr Mundgesundheit im Milchgebiss diametral entgegenlaufen. Was daher aktuell benötigt wird, ist Sicherheit und Klarheit in der Patienten- kommunikation, nicht zuletzt durch ein einheitliches „Wording“! „Aufklärung tut Not, um Schaden von der Zahngesundheit der Bevölkerung abzuwenden!“ Johannes Einwag Probleme in der Patientenkommunikation Fluoride Foto: ZFZ 76 Zahnmedizin

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