Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 110, Nr. 1-2, 16.1.2020, (11) Schoeps betonte, dass die Zahl der Zeit- genossen, die sich abfällig über Juden und das Judentum äußern, wieder zunehme. „Es ist sehr zu begrüßen, dass wir uns nun verstärkt mit der NS- Geschichte beschäftigen, uns gemein- sam erinnern und uns die Gräuel von damals vergegenwärtigen. Nur so, wenn wir alle bereit sind, uns der Ge- schichte mit ihren Aktiv- und Passiv- posten zu stellen, nur dann werden wir und unsere Gesellschaft eine Zukunft haben.“ 1. PREIS: „UND DÜRFEN DAS KRANKENHAUS NICHT MEHR BETRETEN“ Der erste Preis ging an die gemein- schaftliche Arbeit von Dr. Susanne Doetz und Prof. Christoph Kopke für „und dürfen das Krankenhaus nicht mehr betreten“. In ihrer Geschichte geht es um dem Ausschluss jüdischer und politisch unerwünschter ÄrztInnen aus dem städtischen Gesundheitswesen in Berlin in den Jahren 1933 bis 1945. Die Arbeit besteche durch einen umfangreichen biografischen Teil und den systematischen Nachweis aller ent- lassenen ÄrztInnen. Damit lege diese die Grundlage für weitergehende For- schungen zur frühen Dynamik natio- nalsozialistischer Vertreibungs- und Vernichtungspolitik und liefere ein Modell für die Aufarbeitung der Ge- schichte des öffentlichen Gesundheits- wesens anderer Großstädte, begründete die Jury ihre Entscheidung. Kopke erzählte im Anschluss, dass er auch über den Widerruf von Lewins Berufung zum Stadtarzt in Offenbach geschrieben hat: „Der Herbert-Lewin- Preis zeigt, dass die Ärzteschaft insge- samt sich in den letzten Jahrzehnten auf einen guten Weg gemacht hat, was ihr Verhältnis zur nationalsozialis- tischen Geschichte des Berufsstands anbelangt.“ 2. PREIS „VERTRIEBEN AUS HAMBURG“ Platz zwei ging an Dr. Doris Fischer- Radizi für ihre Arbeit „Vertrieben aus Hamburg“ über die Ärztin Rahel Liebeschütz-Plaut (1894–1993). Fischer- Radizi war in der Bibliothek für Universitätsgeschichte auf schriftliche Notizen der jüdischen Ärztin gestoßen, die nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten gezwungen war, ihren Beruf aufzugeben. „Meine Motivation war der Gedanke, dass es wichtig ist, denjenigen, die von den Nazis verfolgt wurden und vergessen werden sollten, einen Platz und einen Namen zu geben und das Unrecht zu benennen“, erzählte sie. Mit ihrer Arbeit half sie auch den Nachfahren der Ärztin, die dadurch dieses Stück ihrer Familiengeschichte aufarbeiten konnten. Fischer-Radizi wünscht sich, dass durch Geschichten wie die von Liebeschütz-Plaut bei den Menschen der Mut entsteht, sich heu- tigen neo-nationalsozialistischen und antisemitischen Kräften entgegenzu- stellen. „Jeder, der so etwas mitbe- kommt, sollte die Stimme erheben.“ Die Arbeiten „Vertrieben aus Ham- burg“ und „und dürfen das Kranken- haus nicht mehr betreten“ sind im Buchhandel erhältlich. 3. PREIS: „VIER ERMITTLUNGEN UND EIN VERDIENSTKREUZ“ Der dritte Preis ging an Dr. Mathias Schütz für seinen Fachaufsatz „Vier Ermittlungen und ein Verdienstkreuz“. Schütz hob mit seiner Arbeit die Medizinverbrechen des Hygienikers Hermann Eyer (1906–1997) während der NS-Zeit ins Licht der Öffentlich- keit. Eyer ließ ab April 1940 Impfstoffe an Häftlingen im KZ Buchenwald zur Klärung ihrer Wirksamkeit testen. Ab 1946 war Eyer ordentlicher Professor für Hygiene an der Universität Bonn und Direktor des dortigen Hygie- nischen Instituts, ab 1957 war er bis zu seiner Emeritierung 1974 Direktor des Max von Pettenkofer-Instituts in München. 1986 erhielt er das Bundes- verdienstkreuz I. Klasse. Auch Schütz wünscht sich, dass seine Arbeit zum Verständnis der damaligen Geschehnisse beiträgt. ! Lobend erwähnte die Preiskommission zudem die von Prof. Dr. Hubert Steinke in der Schweiz betreute Arbeit von Dr. Johann Faltum über die Zwangs- sterilisation in Lörrach. DANA NELA HEIDNER Freie Journalistin HERBERT LEWIN Herbert Lewin (1899–1982), deutscher Arzt und von 1963 bis 1969 Vorsitzender des Zentralrats der Juden, war im „Dritten Reich“ in ein polnisches Sammellager der Nazis gebracht worden und arbeitete als Häftlingsarzt in mehreren KZs. Seine Frau überlebte das Lager nicht. Dennoch entschied er sich, nach dem Krieg in Deutschland zu bleiben. 1949 kam es zu einem weltweiten Skandal, als seine Wahl zum Direk- tor der Städtischen Frauenklinik in Offenbach vom damaligen Ober- bürgermeister widerrufen wurde – mit der Begründung, Lewin würde ein Rachegefühl hegen, das auf seiner Zeit im KZ beruhe. Lewin starb 1982 in Wiesbaden. HERBERT-LEWIN-PREIS Ziel des Preises ist die Förderung der historischen Aufarbeitung der Rolle der Ärzteschaft im „Dritten Reich“ sowie die Erinnerung an ÄrztInnen und ZahnärztInnen, die in der Zeit des Nationalsozialismus verfolgt und ermordet wurden. Die Preisträger werden von einer unabhängigen Jury ausgewählt, deren Mitglieder von den Trägerorganisationen, dem Zentralrat der Juden in Deutschland sowie dem Bundesverband Jüdischer Ärzte und Psychologen in Deutschland benannt wurden. | 13
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=