Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 110, Nr. 1-2, 16.1.2020, (27) Erfolg und zur verhängnisvollen Machtfülle verhalf. Zahnärzte, die Mit- glieder der NSDAP wurden, sprachen sich damit für die NS-Gesundheits- politik aus, die immer auch Rassen- und Bevölkerungspolitik war. Aus dieser Sicht erscheint es probat, von Tätern oder zumindest Mittätern zu sprechen. Geht man dagegen davon aus, dass viele Deutsche nicht aus ideologischer Überzeugung, sondern zuvorderst aus politischem Opportu- nismus beziehungsweise Karrierestre- ben NSDAP-Mitglied wurden, wird man eher auf den Begriff „Mitläufer“ rekurrieren, sofern die betreffenden Personen nicht durch konkrete Hand- lungen hervorgetreten sind. Letztlich jedoch sind die Grenzen fließend und nur beim Blick auf jeden einzelnen Fall konkret zu bestimmen. MITLÄUFER, ZUSCHAUER, ENTLASTETE: Der Streit um Begrifflichkeiten An dieser Stelle ist anzumerken, dass gerade die angesprochene Bildung von Kategorien jenseits der eindeutigen „Täter“ und der eindeutigen „Opfer“ auch innerhalb der Wissenschaft durchaus umstritten ist. Dabei fehlt es nicht an Versuchen: Aus den Ent- nazifizierungsverfahren kennt man zum Beispiel neben den Tätern die beiden Kategorien „Mitläufer“ und „Entlastete“ 31 . Raul Hilberg vertritt da- gegen sehr prominent eine Dreiteilung in „Täter, Opfer und Zuschauer“ 32 , während das von Dominik Groß ver- fasste, 2020 erscheinende „Personen- lexikon der Zahnärzte im ‚ Dritten Reich‘ und im Nachkriegsdeutschland“ mit dem Untertitel „Täter, Mitläufer, Entlastete, Oppositionelle, Verfolgte“ aufwartet und damit fünf Kategorien differenziert. 33 Groß rückt dabei bewusst vom vorgenannten Begriff „Zuschauer“ ab, weil dieser eine passive Haltung der betreffenden Personen suggeriert. Der Begriff unterstellt, dass die besagten Personen nicht Teil des Geschehens ge- wesen seien, sondern dies von außen betrachtet hätten. Tatsächlich waren jedoch alle im „Dritten Reich“ leben- den und tätigen Deutschen Akteure. Im Unterschied zum „Zuschauer“ lässt der Begriff „Mitläufer“ eine aktive Rolle erkennen – konkret: ein durch Konfor- mität („Mitlaufen“) gekennzeichnetes Handeln, ohne sich hierbei politisch zu exponieren. Auch der Begriff „Ent- lastete“ ist vielschichtiger als der Terminus „Zuschauer“: Er bietet die zusätzliche Information, dass die be- treffenden Personen dem initialen Vor- wurf einer politischen Verstrickung ausgesetzt waren, der jedoch entkräftet wurde. UNTERSCHIEDLICHE GRUPPEN VON VERFOLGTEN Zu guter Letzt ist zu betonen, dass es bei näherer Betrachtung auch durch- aus unterschiedliche Gruppen von Ver- folgten gibt. Der Begriff subsumiert alle Personen, die durch das NS-Unrechts- regime zu Schaden gekommen sind, ohne ihnen jedoch die passive Rolle als „Opfer“ zuzuweisen. Er gibt aber keinen Aufschluss über die Hinter- gründe beziehungsweise über den Weg, der zur Verfolgung geführt hat. Wer aus rassistischen Gründen verfolgt wurde oder den Nationalsozialisten als „politisch missliebig“ galt, bekam dies bereits ab 1933 zu spüren. Versuche, unter den Umständen von sozialer und wirtschaftlicher Diskriminierung in Deutschland zu überleben oder die Auswanderung zu wagen, waren gerade nicht von Passivität gekennzeichnet. Vielmehr machten sie aktive Versuche nötig, mit der neuen Umwelt in Deutschland oder im Einwanderungs- land umzugehen. Dies gilt umso mehr für Personen, die in Ghettos oder Kon- zentrationslager deportiert wurden. Die Gruppe der Verfolgten schließt auch Oppositionelle und Widerstands- kämpfer ein. Claus Schenk Graf Stauf- fenberg etwa gehörte als deutscher Wehrmachtsoffizier zu Beginn keines- wegs zu den Verfolgten des NS- Regimes: Er entschied sich jedoch für den politischen Widerstand, wurde enttarnt und bekanntlich am 20. Juli 1944 hingerichtet. Doch auch aktive Nationalsozialisten konnten in die Rolle eines Verfolgten einrücken – etwa, wenn sie in (partei) interne Grabenkämpfe gerieten und hierbei den Kürzeren zogen. So gibt es etliche Beispiele von Fachvertretern aus der Zahnheilkunde, die genau dies erlebten. So wurde der Dentist Friedrich Krohn, der am Entwurf der Parteifahne beteiligt war, durch einen Parteigenos- sen „kaltgestellt“. 34 Auch der zahnärzt- liche Hochschullehrer Guido Fischer – Wegbereiter der zahnärztlichen Lokal- anästhesie und glühender National- sozialist – wurde zum Objekt partei- interner Rangkämpfe; letztere endeten mit Fischers Zwangsemeritierung. 35 Dennoch wäre es verfehlt, sein Schick- sal mit dem eines entrechteten Juden oder aber eines enttarnten Wider- standskämpfers gleichzusetzen – auch wenn Fischer selbst sich nach 1945 wiederholt zum NS-Opfer stilisierte. Diese Ausführungen zeigen, wie schwierig derartige Einordnungen im Einzelfall sein können. Für die nun startende zm-Reihe wurden gezielt Per- sonen ausgewählt, die zweifelsfrei den Tätern oder den Verfolgten zuzuord- nen sind. Dabei werden wir in jeder Ausgabe jeweils einen Täter und einen Verfolgten vorstellen. Auf diese Weise möchten wir deutlich machen, dass es Zahnärzte in beiden Gruppierungen gab. Entsprechend wichtig erscheint es uns, beide Personengruppen im Blick – und in der kollektiven Erinnerung – zu behalten. Die Spannung, die sich dabei zwischen den Lebensläufen ergibt, ist durchaus gewollt. So ver- sprechen die individuellen Biografien dieser Personen und ihre spezifischen Lebenswege sehr viel konkretere Ein- blicke ins Dritte Reich und ins Nachkriegsdeutschland als das bloße Referieren und Bewerten von Zahlen und Statistiken. ! Grundlage dieses Beitrags sind die Ergebnisse des von BZÄK, KZBV und DGZMK geförderten Aufarbeitungs- projekts zur Zahnärzteschaft im Nationalsozialismus, das 2017 begonnen und dessen Ergebnisse am 28. November 2019 in Berlin offiziell vorgestellt wurden. Foto: zm-Archiv Ein Flugzeug für den Führer 31 Niethammer, 1982; 32 Hilberg, 1997; 33 Groß, 2020; 34 Reinecke et al., 2018; 35 Groß, 2018d
Made with FlippingBook
RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=