Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02

zm 110, Nr. 1-2, 16.1.2020, (29) 1933 beigetreten waren und eine Mitgliedsnummer unter 300.000 führ- ten. Er ist dagegen den zahlreichen Deutschen zuzurechnen, die unmittel- bar nach dem politischen Macht- wechsel die Aufnahme in die NSDAP beantragten. 4 Aufgenommen wurde er am 1. Mai 1933, er erhielt die Partei- nummer 2.645.140. Während das Eintrittsdatum somit nicht unbedingt auf eine frühe ideolo- gische Nähe zum Nationalsozialismus schließen lässt, deuten Pooks weitere Schritte auf eine zunehmende Identifi- kation mit den Zielen des NS-Regimes: Im Juni 1933 trat er in die SS ein und wurde Mitglied des 2. Reitersturms der SS-Reiterstandarte 6. Pook bewährte sich rasch, absolvierte regelmäßig Fort- bildungen und wurde unter anderem in der Sanitätsstaffel des Sicherheits- dienst-Hauptamtes eingesetzt. Im April 1938 trat Pook aus der Kirche aus und bekannte sich „gottgläubig“ – eine spezifische Bezeichnung für National- sozialisten, die sich von der Institution der Kirche abwandten, jedoch nicht glaubenslos waren. Besagter Kirchen- austritt war Bedingung für die Über- nahme in die höheren Dienstränge der SS. TOTALE IDENTIFIKATION MIT DEM NS-SYSTEM Nun nahm Pooks SS-Karriere Fahrt auf: Er arrivierte zum SS-Obersturmführer, SS-Hauptsturmführer und im Sommer 1941 zum SS-Sturmbannführer. Gleich- zeitig trat er in den hauptamtlichen SS- Dienst ein. Vom April 1942 bis zum Februar 1943 war er „Leitender Zahn- arzt“ der SS-Zahnstation in Berlin, anschließend Divisionszahnarzt bei der 9. SS-Panzer-Division „Hohenstau- fen“, die in Frankreich und Belgien aufgestellt wurde. Doch bereits im September 1943 wurde er ins „SS-Wirtschafts-Verwaltungs- hauptamt“ (WVHA) überstellt – seine höchste Karriereposition: Hier wirkte er bis Mai 1945 im Amt D III. Dem WVHA, das von SS-Obergruppenführer Oswald Pohl geleitet wurde, unter- stand das gesamte Konzentrations- lagerwesen; es war somit die zentrale Instanz bei der Durchführung des Holocaust. Das Amt D III war hierbei für alle medizinischen Belange der Konzentrationslager verantwortlich; es wurde von dem Arzt Dr. Enno Lolling (1888–1945) geleitet. Pook wiederum fungierte in jenem Amt als leitender Zahnarzt und trug damit die Ver- antwortung für alle KZ-Zahnärzte und alle zahnmedizinischen Belange in den KZs. Ihm oblag die Prüfung der Abrechnungen und der Materialbestel- lungen der jeweiligen Lagerzahnärzte. In seiner Funktion hatte er zudem ge- naue Informationen über den in allen Konzentrationslagern praktizierten „Zahngoldraub“ 5 : Hierbei brachen Häftlingszahnärzte auf Befehl und unter Aufsicht der KZ-Zahnärzte Zahn- gold aus den Kiefern der ermordeten KZ-Insassen; daneben hatten die Zahn- ärzte in den KZs die Einschmelzung des Zahngolds und dessen Aufbewah- rung bis zur Ablieferung sicherzustellen. Zudem inspizierte Pook die Konzentra- tionslager beziehungsweise die dortigen Zahnstationen; auf diese Weise lernte er nachweislich KZ-Zahnärzte wie zum Beispiel Willi Frank 6 und Willi Schatz 7 kennen. Die beschriebenen Funktionen Pooks waren maßgeblich dafür, dass er sich nach 1945 vor Gericht verantworten musste: Am 8. April 1947 eröffnete der US-amerikanische zweite Militär- gerichtshof den vierten Nürnberger Nachfolgeprozess gegen den WVHA- Chef Oswald Pohl und 17 weitere leitende Mitarbeiter, darunter auch Pook. 8-9 Den Angeklagten wurden unter anderem die Mitgliedschaft in einer verbrecherischen Organisation, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit vorgeworfen. Nicht alle Verantwortlichen konnten zur Rechenschaft gezogen werden: Richard Glücks, Chef der Amtsgruppe D, sowie Pooks unmittelbarer Vor- gesetzter Lolling hatten sich nach Kriegsende suizidiert. Pook schob alle Verantwortung von sich und macht für die meisten Anklagepunkte Lolling verantwortlich. Er skizzierte sich selbst als Befehls- empfänger, beschrieb seine Tätigkeit im WVHA weitgehend als bloßen „Bürodienst“ und gab an, keine Kom- mandogewalt besessen und von den Ereignissen in den Vernichtungslagern nichts gewusst zu haben. Seine Mel- dung zur Waffen-SS deutete er (nach- weislich falsch) zu einer Einberufung in die Wehrmacht um, die ihn dann der SS zugeteilt habe. Nur sporadisch sei er mit Lolling auf eine KZ-Inspektions- reise gegangen. Dabei habe er sich auf die Besichtigung der jeweiligen SS- Zahnstationen beschränkt, die in der Regel direkt am Eingang der KZs ge- legen hätten; den Rest der Lager habe er somit nicht gesehen, so dass er von den dortigen Vorgängen – und folglich auch von der Massenvernichtung von KZ-Häftlingen – keine Kenntnis erhal- ten habe. Das Wissen um den „Zahn- goldraub“ konnte Pook allerdings nicht leugnen, da entsprechende Be- richte über seinen Schreibtisch gingen, in denen auch die jeweils gesammelte Goldmenge verzeichnet wurde. Dass das Gericht der Verteidigungs- strategie Pooks nur sehr begrenzt folgte, zeigte sich am 3. November Foto: „unbekannt wikipedia commons“ Abb. 2: Hermann Pook PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MIT I, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de 4 Bundesarchiv Berlin; Karteikarte in NSDAP-Zentralkartei; 5 Westemeier et al., 2018; 6 Huber, 2009; 7 Schwanke/Groß, 2020; 8–9 Schulte, 2013; Bundesarchiv Koblenz ZAHNÄRZTE IM DRITTEN REICH | 31

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