Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 110, Nr. 1-2, 16.1.2020, (30) 1947: An jenem Tag wurde Pook zu zehn Jahren Gefängnis in der Haft- anstalt in Landsberg verurteilt. Seine Verteidiger erhoben umgehend Ein- spruch, der jedoch abgewiesen wurde. BEGNADIGUNG UND FORTSETZUNG DER BERUFLICHEN LAUFBAHN Doch Pook wurde Ende Januar 1951 begnadigt und verließ das Gefängnis am 1. Februar 1951. Da er bereits ver- urteilt worden war, konnte er in der Bundesrepublik nicht weiter juristisch belangt werden. In der Folgezeit gelang es Pook, seine berufliche Laufbahn als Zahnarzt fortzusetzen: Er eröffnete im nord- deutschen Hemmingstedt eine Praxis. Zudem ist dokumentiert, dass er um 1955 einen Antrag auf Entschädigung als Kriegsgefangener stellte. Anfang der 1960er-Jahre wurde er dann ein letztes Mal mit seiner Vergangenheit kon- frontiert: Im „1. Frankfurter Auschwitz- Prozess Strafsache gegen Mulka u. a.“ musste er nochmals eine Aussage machen – nunmehr allerdings als Zeuge. Seit 1970 war Pook dann in Itzehoe wohnhaft; hier war er für eine kurze Zeit noch zusammen mit seinem Sohn Holger als Zahnarzt tätig. 10 Er verstarb am 31. Oktober 1983 in Glückstadt. FAZIT Pooks Lebenslauf ist in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert: ! Er fand erst nach Hitlers Macht- ergreifung zur NSDAP und zur SS, gelangte aber dennoch in leitende Positionen und trug dort eine Mit- verantwortung an den Verbrechen in den Konzentrationslagern. ! Pook war zu keinem Zeitpunkt zur kritischen Selbstreflektion bereit; seine Aussagen im Nürnberger Prozess zeugen vielmehr von fehlendem Unrechtsbewusstsein. Diese Haltung teilte er mit vielen NS-Tätern. 11 ! Pook gelang es nach seiner Ent- lassung, seine Laufbahn als nieder- gelassener Zahnarzt fortzusetzen; auch dies trifft für das Gros der verurteilten Zahnärzte zu. 11 ! Pook war einer von bisher 305 nachgewiesenen Zahnärzten in der Waffen-SS; weitere waren der frühere DGZMK-Präsident Gerhard Steinhardt 12 und der in den Tod der Goebbels-Kinder verstrickte Helmut Kunz 13 . ! Für die Zahnärzteschaft der Nachkriegszeit hatte der Fall Pook durchaus Signalwirkung: Die Tatsache, dass Pook der einzige angeklagte Zahnarzt in den Nürn- berger Prozessen war, schien für die „Einzeltätertheorie“ zu sprechen. Heute wissen wir es besser: Zwischenzeitlich konnten 48 Zahnärzte identifiziert werden, die von alliierten oder bundes- deutschen Gerichten angeklagt und verurteilt wurden – hiervon erhielten nicht weniger als 15 die Todesstrafe. 14 ! zm-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Waldemar Spier – Zahnarzt, Fußballfunktionär, Gemeinde- vorsteher wider Willen Thorsten Halling, Matthis Krischel Waldemar Spier (1889–1945) gehört als niedergelassener Zahnarzt zu der großen Gruppe der bisher weitgehend unbekannten Verfolgten des Nationalsozialismus. 1 Weder in der Wissenschaftsgeschichte der deutschen Zahnheilkunde noch als Vertreter berufsständischer Interessen hat er maßgebliche Spuren hinterlassen. A ls Fußballfunktionär und kurz- zeitiger Vorsteher der jüdischen Gemeinde Düsseldorfs erscheint Waldemar Spiers Biografie zunächst von lokalem historischem Interesse. Es sind aber besonders die 1933 einset- zende Verfolgung durch die National- sozialisten und sein Tod in Auschwitz, die ihn auch zum Gegenstand der Auseinandersetzung mit der Zahn- heilkunde im Nationalsozialismus machen. Das späte Andenken an Spier ist zugleich ein aufschlussreiches Beispiel für den Wandel, den das Gedenken an den Holocaust in ver- schiedenen Erinnerungsgemeinschaf- ten bis in die jüngste Zeit erfahren hat. Als Sohn des Kaufmanns und Foto- grafen Siegfried Spier (1854–1927) und dessen Ehefrau Johanna Spier (1861–1938) 1889 in Düsseldorf geboren, besuchte Waldemar Spier bis Herbst 1903 das Königliche Gymnasium. Nach dem Umzug der Eltern nach Würzburg – der Vater wurde Teilhaber eines Fotoateliers – beendete Spier dort 1 Vgl. auch Hallling/Sparing/Krischel (2018) 10 Deutsches Zahnärztliches Adressbuch, 1971, 11 Groß, 2018, 12 Groß/Schäfer, 2009, 13 Heit et al., 2019, 14 Rinnen et al., 2020 32 | ZAHNÄRZTE IM DRITTEN REICH
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