Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 01-02
zm 110, Nr. 1-2, 16.1.2020, (31) Foto: Stadtarchiv Düsseldorf 0–1–32–409.0008/002 Abb. 1: „Jüdische Kennkarte“ von 1939: Dieser Ausweis enthält das einzige bekannte Bild von Spier und wird in der Regel als Ausschnitt ohne Bezug auf die Quelle verwendet. So wird eine zum Zweck der Ausgrenzung erstellte Fotografie zur wichtigsten visuellen Quelle der Erinnerung. [Vgl. auch: Benkel, 2013] seine Schullaufbahn. ImWintersemester 1906/07 begann er ein Studium der Zahnheilkunde an der Julius-Maximilian- Universität in Würzburg, das er 1909 mit dem zahnärztlichen Staatsexamen abschloss. Während dieser Zeit war er Mitglied der jüdischen Studenten- verbindung Salia. Im Ersten Weltkrieg leistete er Kriegsdienst als Feldzahnarzt und wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Nach seiner Rückkehr nach Düsseldorf 1919 eröff- nete er im Folgejahr dort eine eigene Zahnarztpraxis. 1921 wurde er mit einer Arbeit zum „Fuer und Wider die Brom- und Chloraethyl-Narkose mit eigener Erfahrung“ an der Universität Würzburg zum Doktor der Zahnmedi- zin promoviert. 2 Im Laufe der folgenden Jahre interes- sierte sich Spier offenbar intensiv für die Geschicke des Sportvereins Fortuna Düsseldorf. Versammlungsprotokolle vom Januar und vom Juli 1931 be- legen seine Vereinsmitgliedschaft und seine Wahl in den „Spielausschuss Fußball“. Darüber hinaus legt ein in Köln aufgegebenes Glückwunsch- telegramm an die Mannschaft nahe, dass Spier im Juni 1933 dem Gewinn der Deutschen Meisterschaft dort bei- wohnte und der Mannschaft weiterhin verbunden war. Im Geschäftsbericht des Vereins aus dem gleichen Monat ist Spier als Gläubiger verzeichnet. Danach findet er in den wenigen erhaltenen Vereinsunterlagen keine Erwähnung mehr. 3 Inwiefern ihn als Frontkämpfer des Ersten Weltkriegs die nach 1933 ein- setzenden Repressionen persönlich trafen, ist nicht eindeutig zu beantwor- ten. Die Verordnung des Reichsarbeits- ministers vom 27. Juli 1933 über die Zulassung von Zahnärzten und Zahn- technikern bei den Krankenkassen beispielsweise sah Ausnahmen unter anderem für Frontkämpfer vor. 4 In einem Verzeichnis der nun nicht mehr zugelassenen „nichtarischen und staatsfeindlichen Ärzte, Zahnärzte und Dentisten“ der Krankenkasse der Deutschen Angestellten vom Oktober 1934 stehen nur zwei der insgesamt mindestens sieben als jüdisch klassi- fizierten Zahnärzte Düsseldorfs, Spier jedoch nicht. 5 Er ist auch bis ein- schließlich der Ausgabe von 1938 im Deutschen Zahnärztebuch ver- zeichnet. 6 Einen gewissen Schutz vor weiterer Verfolgung bot ihm zudem der Status der „Mischehe“: Im Juni 1934 hatte Spier die katholische Gertrude Schmitz, geborene Armenat (1895–1978), geheiratet. 1938 WURDE SPIERS PRAXIS „ARISIERT“ Während des Novemberpogroms von 1938 wurde auch Spier verhaftet, seine Praxis verwüstet und später „arisiert“, das heißt, er musste sie an einen arischen Kollegen verkaufen. Nach einer drei- wöchigen KZ-Haft in Dachau kehrte er zurück und praktizierte in einer neuen, von seiner Frau schon während der Inhaftierung bezogenen Wohnung. Gertrude Spier erreichte die vorzeitige Haftentlassung ausgerechnet mit dem von der Bezirksstelle Düsseldorf der Kassenzahnärztlichen Vereinigung Deutschlands schriftlich bestätigten Argument, die Anwesenheit ihres Mannes wäre für die Übergabe der Pra- xis an einen arischen Nachfolger zwin- gend notwendig. 7 Die Demütigung einer an der Universität Würzburg ab 1935 vielfach durchgeführten Depro- motion blieb Spier sehr wahrscheinlich erspart. In den entsprechenden Listen, die im Zuge der Aufarbeitung erstellt wurden, ist er nicht vermerkt. 8 Gestapo-, Wiedergutmachungs- und Gerichtsakten der Nachkriegszeit ver- mitteln ein relativ präzises Bild über die Verfolgung Spiers: Ab 1940 wohnte das Ehepaar in der Sonderburgstraße in Düsseldorf. Nach dem Entzug der Approbation konnte Spier nur noch als sogenannter „jüdischer Zahn- behandler“ praktizieren. 9 Spier verhielt sich politisch offenbar unauffällig, so findet sich in seiner Gestapo-Akte im Januar 1939 der Vermerk „In poli- tischer Hinsicht bisher nicht hervor- getreten“. Im gleichen Monat erfolgte eine Passerteilung. Noch im August 1940 befürwortete der zuständige Be- amte den „Antrag auf Belassung des Fernmeldeanschlusses“. 10 2 Spier (1921), Lebenslauf; 3 Vogel (2017), S. 37–39; 4 Verordnung des Reichsarbeitsministers (1933); 5 Krankenkasse der Deutschen Angestellten (1934); 6 Deutsches Zahnärzte-Buch und Zahnärzte-Verzeichnis (1938); 7 LAR RW58/24014/005 (Gestapo-Akte Waldemar Spier); 8 Bayerische Julius-Maximilians- Universität Würzburg (2011), S. 13; 9 Zu den jüdischen Krankenbehandlern vgl. Schwoch (2013); 10 LAR RW58/24014/005 (Gestapo-Akte Waldemar Spier). ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. | 33
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