Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 03

zm 110, Nr. 3, 1.2.2020, (141) KASSENZAHNÄRZTLICHE BUNDESVEREINIGUNG EIN VISIONÄRER WISSENSCHAFTLER Der Wechsel der wissenschaftlichen Grund- auffassung in der Zahnmedizin von der kurativen hin zur präventiven Versorgung der Patienten ist für unser Fachgebiet die bedeutsamste Entwicklung der vergangenen Jahrzehnte. Dieser Weg wurde durch Pro- fessor Axelsson maßgeblich bereitet. Die Grundlagenforschung zur systematischen Prävention, die er mit seinen Kollegen Anfang der 1970er-Jahre initiierte, belegt mit Langzeitergebnissen über drei Jahrzehnte eindrucksvoll die Wirksamkeit von Plaque- kontrolle für Karies und Parodontits durch systematische Präventionskonzepte im Praxis- alltag. Auf der Grundlage der Studien von Axelsson und Kollegen wurde zu Beginn der 1990er- Jahre in Deutschland das Individualprophy- laxe-Programm für Kinder und Jugendliche in die vertragszahnärztliche Versorgung eingeführt. Die Ergebnisse zeigen eine kon- tinuierliche und nachhaltige Verbesserung des Mundgesundheitszustands bis ins Erwachsenenalter. Während 1989 der Anteil der kariesfreien Gebisse bei lediglich 12,4 Prozent lag (DMS I) stieg er im Jahr 2016 auf 81,3 Prozent (DMS V). Mit diesem Wert nimmt Deutschland im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz ein. Für den Bereich der parodontalen Erkrankungen, die im Erwachsenenalter dominieren, dauerte es länger, den Präventionsgedanken in die ver- tragszahnärztliche Versorgung einzubringen. Die zahnärztliche Selbstverwaltung hat diese Entwicklung jedoch konsequent vorangetrieben, so dass im Gemeinsamen Bundesausschuss derzeit die konkrete Neugestaltung der Behandlung parodontaler Erkrankungen um- gesetzt wird. Die Arbeiten von Professor Axelsson waren der Beginn und die Basis für diese Entwicklungen. Als visionärer Wissen- schaftler hat er die zahnmedizinische Welt und auch die vertragszahnärztliche Tätigkeit in Deutschland nachhaltig verändert. Dr. Wolfgang Eßer, Vorsitzender des Vorstandes der KZBV mit ihm ein individuelles Prophylaxe- programm, für das in den Jahren 1971 und 1972 über 550 Probanden rekru- tiert wurden. 375 Probanden kamen in die Testgruppe und erhielten bedarfs- orientiert umfangreiche Mundhygiene- instruktionen für die häusliche Mund- hygiene und eine professionelle mechanische Zahnreinigung mit fluorid- haltiger Zahnpasta. In den ersten zwei Jahren wurden die Patienten alle zwei Monate, vom dritten bis zum sechsten Jahr alle drei Monate und danach bis zum 30. Jahr in bedarfsorientierten Intervallen von drei bis zwölf Monaten einbestellt. Jährlich dokumentiert wurden die Parameter Kariesbefall, Gingivitis (BoP) und Sondierungstiefe (PPD). Umfas- sende Befunderhebungen fanden nach 3, 6, 15 und 30 Jahren statt – diese do- kumentierten zusätzlich die Parameter Plaque, sondierte Attachmenthöhe (PAL) und Parodontalstatus (CPITN- Code). 2004 wurden die 30-Jahres-Ergebnisse veröffentlicht. Neben den festgestellten rundum positiven Ergebnissen des Pro- phylaxeprogramms war insbesondere die starke Bindung der Patienten an das Prophylaxeprogramm bemerkenswert: Von 375 Teilnehmern waren nach 30 Jahren immer noch 257 Patienten in der Studie, 49 waren verstorben, 61 umgezogen, nur 8 hatten das Interesse an der Oralprophylaxe verloren. Die Effekte des Prophylaxeprogramms waren jedoch nicht erst in der Lang- zeitbetrachtung zu sehen. Bereits wenige Jahre nach dem Start zeigte sich, dass die Teilnehmer der Testgruppe von der professionellen Mundhygiene pro- fitierten und einen besseren Mund- gesundheitszustand entwickelten als die Teilnehmer der Kontrollgruppe, die keine professionelle Hilfe erhielten. Das Prophylaxeprogramm zeigte eine so deutliche Wirkung, dass nach sechs Jahren schließlich die Kontrollgruppe aus ethischen Erwägungen heraus auf- gelöst wurde – Axelsson hielt es nicht mehr für vertretbar, die Patienten der Kontrollgruppe im Dienste der Wissen- schaft weiterhin auf die Nicht-Vorsorge zu verpflichten. AXELSSONS PROPHYLAXE – DER VORLÄUFER DER PZR Die Auflösung der Kontrollgruppe sollte jedoch noch für Diskussionen sorgen. Als Jahrzehnte später das von Axelsson und Lindhe einst entworfene Prophylaxeprogramm modifiziert als Professionelle Zahnreinigung (PZR) flächendeckend in deutschen Zahn- arztpraxen Einzug gehalten hatte, prüfte der MDK, Verläufer des Medizinischen Dienstes des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen e.V. (MDS), die Wirksamkeit der PZR anhand wissen- schaftlicher Evidenzkriterien. Die Studien von Axelsson und Lindhe wur- den aus der Betrachtung der Evidenz Foto: Björn Klinge Das von Per Axelsson entwickelte Konzept professioneller Prävention in der Zahnarztpraxis durch die Verbindung von professioneller Zahnreinigung und strukturierter Motivation des Patienten zur häuslichen Mundhygiene bildet nach wie vor die Basis für den heutigen Prophylaxealltag. | 19

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