Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 03

zm 110, Nr. 3, 1.2.2020, (148) zm-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Otto Loos – „Reichsdozentenführer“ Dominik Groß Otto Loos, Professor für Zahnheilkunde am Carolinum in Frankfurt am Main, starb bereits drei Jahre nach der Macht- ergreifung Hitlers. Warum er in dieser Reihe trotzdem als Täter ausgewiesen wird? Seine Nähe zur Wehrmacht und sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus blieben nicht ohne Folgen. Nach dem Krieg wurde seine Rolle allerdings völlig umgedeutet: Statt ihn als Täter zu brandmarken, widmete die Zahnärzteschaft ihm sogar noch Preise. O tto Loos wurde am 16. Februar 1871 in Neuenbürg an der Enz als Sohn eines Fabrikbesitzers geboren. 1-4 Nach dem Abitur in Stuttgart entschloss er sich 1890 zum Studium der Medizin. Hierzu schrieb er sich an der Kaiser-Wilhelm-Akademie in Berlin – der „Pépinière“ – ein. 1894 absolvierte er bereits seine ärztliche Prüfung und noch im selben Jahr promovierte er über „Hypnotismus und die Suggestion“ an der Universität Berlin zum Dr. med. 1896 erlangte er die Approbation und wurde Sanitätsarzt in Straßburg. Hier stieg er später bis zum Regimentsarzt in der 30. Division auf. 1900/01 folgte ein China-Aufenthalt als Stabsarzt. Loos gehörte der deutschen Truppe an, die die dortige, gegen den Kolonialis- mus gerichtete Befreiungsbewegung („Boxeraufstand“) niederschlug; hier- für erhielt er nach seiner Rückkehr die China-Denkmünze. Anschließend kehrte er nach Straßburg zurück und nahm den Dienst als Stabs- arzt beim Infanterie-Regiment Nr. 128 auf. Zudem schrieb er sich hier für das Zweitstudium der Zahnheilkunde ein. 1906 erhielt er die zahnärztliche Approbation und errichtete alsbald die erste zahnärztliche Militärabteilung in Straßburg, die „Abteilung für Zahn- kranke“ im Garnisonlazarett 1. Mittler- weile hatte er sich zu einer wissen- schaftlichen Laufbahn im Fach Zahnheilkunde entschlossen. Eine zen- trale Etappe auf diesem Weg war die Habilitation für Zahnheilkunde, die er 1909 in Berlin abschließen konnte – mit dem Thema „Zahnelongationen bei fehlenden Antagonisten“. 1911 wurde Loos Oberstabsarzt. Aber auch wissenschaftlich kam er weiter voran: 1914 wurde er Institutsleiter am Frankfurter zahnärztlichen Universitäts- institut „Carolinum“ – einer jüdischen Stiftung; damit verbunden war eine (zunächst nicht etatmäßige) außer- ordentliche Professur für Zahnheilkunde an der Universität Frankfurt. Nach Kriegsausbruch fungierte Loos als Chefarzt des Feldlazaretts 3 des XV. Armee-Korps. Doch bereits 1915 konnte er auf seine Position als Leiter des zahnärztlichen Universitätsinstituts nach Frankfurt zurückkehren; hier war er nun auch für das dortige Kiefer- lazarett verantwortlich. 1919 arrivierte Loos zum planmäßigen außerordent- lichen Professor; zugleich nahm er – im Rang eines Generaloberarztes – Abschied aus dem Heeresdienst. Ein Jahr später wurde er – ebenfalls in Frankfurt – persönlicher ordentlicher Professor für Zahnheilkunde. Loos wirkte bis 1936 als Direktor des Instituts und Leiter der chirurgischen Abteilung ebenda. Seine Emeritierung erfolgte mit Wirkung vom 30. März 1936 – und damit nur einen Tag vor seinem Tod, der ihn am 1. April 1936 in Schönberg ereilte. 2,5 Wie aber war Loos‘ Verhältnis zum Nationalsozialismus, und warum er- scheint er in dieser Reihe als „zahnärzt- licher Täter“? 6 EIN GLÜHENDER NATIONALSOZIALIST Zunächst ist festzustellen, dass Loos bereits vor 1933 durch eine „militante und offensiv antidemokratische Einstellung“ auffiel. 7 Dementspre- chend begrüßte er 1933 den Macht- wechsel und trat fortan als glühender Nationalsozialist auf. Seine Nähe zur Wehrmacht und sein Bekenntnis zum Nationalsozialismus blieben nicht ohne Folgen: Bereits im März 1933 wurde er im Rahmen der Gleichschal- tung (Zentralisierung) des Berufsstands zum zahnärztlichen „Reichsdozenten- führer“ ernannt. Als solcher führte er den Kreis der Hochschullehrer an, während Hermann Euler 8-10 der nationalen wissenschaftlichen Fachgesellschaft – der DGZMK 11 – vorstand. Beiden war Ernst Stuck als „Reichszahnärzteführer“ überge- ordnet. 12 Foto: DZMK 3 (1936) Otto Loos 1-4 Robert Volz, 1931, 1152; Bald-Duch, 1977; Kirchhoff/Heidel, 2016; Groß, 2020, 2; 5 Stuck, 1936, 787f.; 6 Groß, 2018a; 7 Kirchhoff/Heidel, 2016, 42–106, hier 57; 8-10 Staehle/Eckart, 2005, 677–694; Groß/Schmidt/Schwanke, 2016; Groß, 2018b; 11 Groß/Schäfer, 2009; 12 Vogt, 2013 26 | GESELLSCHAFT

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