Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 03

zm 110, Nr. 3, 1.2.2020, (149) Loos‘ Ernennung wurde von den zahnärztlichen Hochschullehrern aus- drücklich begrüßt: Im Frühjahr 1933 schlossen sich insgesamt 38 führende zahnärztliche Professoren und Privat- dozenten zur „Einheitsfront der Zahn- ärzte“ zusammen, die sich zu „völliger Anerkennung einer einheitlichen Füh- rung und des Autoritätsprinzips“ be- reitfanden. 13, 14 Dies beinhaltete auch die Selbstverpflichtung auf den Reichs- zahnärzteführer und – für den univer- sitären Bereich – auf den Reichsdozenten- führer Loos. SEIN ZIEL: UNREIFE UND UNGEEIGNETE AUSMERZEN Loos war in dieser Eigenschaft mitver- antwortlich für die Erarbeitung einer Studienreform. Sein erklärtes Ziel für die Zukunft der zahnärztlichen For- schung und Lehre war es, „durch Aus- merzung der großen Masse Unreifer und Ungeeigneter aus der Universität“ eine gewisse „Hochzüchtung der Heil- kundigen zur Mitwirkung in der Pflege der Volksgesundheit – und der Rasse!“ zu erreichen. Weiter führte er aus, der künftige Zahnarzt müsse „sich bewußt der Idee der Hochschule im Dritten Reich, mit dem Ziel der Heranziehung von Füh- rern und Helfern in der Volksgemein- schaft auf der hohen Warte einer nationalsozialistisch und biologisch begründeten Weltanschauung unter- werfen“ 15 . Loos konnte dabei auf die Rückendeckung von Reichszahnärzte- führer Ernst Stuck zählen: Laut Stuck war Loos „der aktivste Kämpfer der deutschen Zahnärzte [...] soweit es [...] seine Stellung zuließ“; weiterhin wür- digte er ihn als „Nationalsozialist inso- fern, als er keinen Standesdünkel kannte“ 5 . Loos‘ Amt als zahnärztlicher Reichsdozentenführer wurde nach sei- nem plötzlichen Tod von Karl Pieper übernommen, der seine Position – anders als Loos – als weitgehend unabhängig von Stuck interpretierte. 16 Für Loos sind Mitgliedschaften im Stahl- helm und im Nationalsozialistischen Ärztebund dokumentiert. Dagegen findet sich sein Name nicht in der (freilich unvollständigen) NSDAP-Mitglieder- kartei im Bundesarchiv Berlin; auch in der sonstigen archivalischen und ge- druckten Literatur findet sich kein Be- leg für eine Parteimitgliedschaft. 17 Dies ist jedoch nicht allzu ungewöhnlich – auch andere prominente, national- sozialistisch orientierte Hochschul- lehrer wie etwa der Frauenarzt Walter Stoeckel 18 oder der Radiologe Karl Frik 19 waren keine Parteimitglieder –, entscheidend war die politische „Linientreue“, die bei Loos angesichts seiner pronationalsozialistischen Äuße- rungen und Verhaltensweisen und der ihm übertragenen Führungsposition nicht infrage stand. Im Nachkriegsdeutschland schien Loos‘ prominente Rolle als zahnärztlicher Dozentenführer dann – wohl auch auf- grund seines frühen Todes – weit- gehend in Vergessenheit zu geraten. Hierzu trugen auch unkritische Dok- torarbeiten bei. So blendete die Disser- tation von Elke Bald-Duch (1977) die Rolle von Loos im „Dritten Reich“ weitgehend aus und zeichnete ein positivistisches Bild („Otto Loos war ein geachteter und verehrter Lehrer“). 2 Die Standespolitik schien in Loos in dieser Zeitphase sogar eine Identifika- tionsfigur zu sehen. Jedenfalls rief die Landeszahnärztekammer Hessen 1967 den „Otto-Loos-Preis“ ins Leben; 1981 wurde zudem die „Otto-Loos-Medaille“ etabliert. 3, 20 Doch kurze Zeit später kam es zu einem öffentlichen Diskurs um die Eignung von Loos als Namensträger für Ehren- preise: Die „Vereinigung Demokratische Zahnmedizin e.V.“ (VDZM) erhob 1982 die Forderung, künftig keine nach Loos benannte Ehrung mehr zu verleihen. Loos habe „als Steigbügel- halter der Nationalsozialisten nicht nur großen Einfluss auf die Personal- politik reichsdeutscher Universitäts- zahnkliniken ausgeübt“, sondern zu- dem „als Leiter der jüdischen Stiftung Carolinum der Frankfurter Zahnklinik rassistische Ziele“ verfolgt. 3 1983 publi- zierte die von der VDZM etablierte Zeitschrift „der artikulator“ eine Son- derausgabe über die Thematik „Zahn- medizin im Faschismus“ und nahm dabei auch auf die nach Loos benannten Auszeichnungen Bezug. 20 Es folgten zum Teil persönlich geführte Ausein- andersetzungen. Letztlich erforderte die offensichtliche politische Verstrickung von Loos ein Einlenken der Standes- politiker: Seit Anfang der 1990er-Jahre wurden keine nach Loos benannten Auszeichnungen mehr vergeben. Dies bedeutete freilich nicht, dass sich ein kritischer Blick auf Loos auf breiter Front durchgesetzt hätte. Noch 2008 erschien eine Publikation, in der Loos‘ Verhältnis zum Nationalsozialismus geradezu umgedeutet und suggeriert wurde, er sei dem Regime unerschrocken entgegengetreten. Hierin hieß es: „Als jüdische Stiftung war das Carolinum nach Hitlers Machtergreifung stark gefährdet. Mit Besonnenheit und per- sönlichem Mut gelang es Otto Loos, den Namen und die Trägerschaft zu er- halten.“ 21 AUS DEM TÄTER WIRD EINE IDENTIFIKATIONSFIGUR Bei aller notwendigen Kritik an Loos‘ politischer Rolle im „Dritten Reich“ – es wäre zu kurz gegriffen, in ihm aus- schließlich den nationalsozialistischen Führer der zahnärztlichen Hochschul- lehrer zu sehen. Loos war nämlich auch ein durchaus anerkannter Wis- senschaftler: So erhielt er bereits 1917 einen Ruf nach Straßburg auf die Professur, die Otto Römer innegehabt hatte. Römer galt als ein herausragen- der Vertreter der deutschen Zahnheil- kunde – und sollte 1928 der erste PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de 13,14 Zahnärztl. Mitt., 1933, 728; Bitterich/Groß, 2020 (in press); 15 Loos, 1933, 1473–1480, insb. 1476 u. 1480; 16 Groß/Westemeier/Schmidt, 2018, 15–37, insb. 20–22; 17 BA Berlin, R 4901/13270; 18 Stoeckel, 2005, 604; 19 Frik, 2005, 168; 20 Vereinigung Demokratische Zahnmedizin, 1933, 21 Kopp/Schopf, 2008, 58–63 | 27

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