Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 03

zm 110, Nr. 3, 1.2.2020, (151) Wilhelm-Gymnasium. Die Familie ging 1899 nach Berlin. Sein Vater, Wilhelm Sachs (1849–1929), hatte seine zahnärztliche Ausbildung in den USA erhalten. 5 Ihm werden große Verdienste um die Entwicklung der konservieren- den Zahnheilkunde in Deutschland zugeschrieben. Seinen Großvater Joseph Wilhelm Sachs 6 (1818–1879), der ebenfalls als Zahnarzt tätig war, hatte Sachs nicht mehr kennengelernt. Er studierte 1899 bis 1903 Chemie in Freiburg i. Br. und schloss das Studium mit einer Promotion zum Dr. phil. ab. Nach einer kurzen Tätigkeit in der chemischen Industrie folgte Sachs der Familientradition: Er studierte Zahn- medizin in Berlin und Breslau, wurde in Breslau approbiert und ging zur weiteren Ausbildung nach New York. Seit 1908 in Berlin niedergelassen, be- schäftigte sich Sachs wissenschaftlich vor allem mit Fragen der Parandontose. 7 Er veröffentlichte sechs Monografien und 23 Zeitschriftenbeiträge und Buch- kapitel, darunter die Kapitel „Pflege des Mundes und der Zaehne“ und „Para- dentitis und Paradentose“ im Band II. des Handbuchs der Zahnheilkunde (München, 1924) sowie „Die Behand- lung lockerer Zaehne nach Younger- Sachs. Ein Leitfaden“ (Berlin, 1929). 8 Diese wissenschaftliche Werk fand bis in jüngste Zeit mehrfach Erwähnung in Darstellungen zur Geschichte der Paradontologie in Deutschland. 9 Gemeinsam mit Oskar Weski (1879–1952) und Robert Neumann (1882–1958) gründete Sachs 1924 die Arbeitsgemeinschaft für Paradentosen- Forschung (ARPA), aus der die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie ent- stand. In einer autobiografischen Skizze erwähnt er diese Beteiligung nicht, ebenso wenig seine kurzzeitige Praxis- gemeinschaft mit Weski, was vielleicht auf ein schwieriges persönliches Ver- hältnis schließen lässt. 10 1929 meldete Sachs in diesem Kontext zwei Patente an, eines für einen „Tiefenmesser zum Messen der Tiefe der bei Paradentose zwischen Zahnfleisch und Zahn gebil- deten Taschen“ 11 das zweite für ein „Werkzeug zum Ausschürfen der Zahn- fleischtaschen bei der Paradentose- behandlung“. 12 Diese Leistungen scheinen heute allerdings ebenso ver- gessen, wie seine rege wissenschaftliche Vortrags- und Lehrtätigkeit im In- und Ausland in den Jahren 1920 bis 1933. Im Antrag für die amerikanische Staatsbürgerschaft erwähnt er „courses and demonatrations on the treatment of paradentosis“ für zahnmedizinische Fachgesellschaften in Deutschland, Schweden, Böhmen und Polen. 13 Seine Berliner Praxis lief ganz offenbar so erfolgreich, dass er sich neben seiner zahnärztlichen Tätigkeit einer zeit- und kostenintensiven Sammlung von Plakaten widmen konnte. Bekannt wurde auch seine kunstgewerbliche Studie „Der Zahnstocher und seine Ge- schichte“ (Berlin, 1913), die 1966 sogar einen Nachdruck erfuhr. Zu seinen prominenten Patienten gehörte u. a. die Familie Albert Einsteins. NOCH ANFANG 1933 ERHÄLT ER DEN MILLER-PREIS Auch wenn er noch Ende Februar 1933 den renommierten Miller-Preis des Central-Vereins Deutscher Zahnärzte für seine Arbeit „Grenzen der Zahn- erhaltung bei Parandontose“ erhielt, 14 stellte die Machtübernahme der Natio- nalsozialisten am 30. Januar 1933 das bisherige Leben von Hans Sachs infrage. In einer nach dem Krieg er- schienenen autobiografischen Skizze schreibt er: „Die Jahre 1933 bis 1938 waren schwer überschattet durch die immer dringen- der werdende Frage der Auswanderung und des Zweifels, ob es mir gelingen würde, in einem anderen Lande als fast nun 60-Jähriger noch einmal alle Aufnahme-Examina zu bestehen, um meinen Beruf wieder ausüben zu kön- nen. Es war nicht leicht für mich, das Land zu verlassen, in dem die Wurzen meiner Vorfahren fest verankert schien, wo Landschaft, Sprache, Kunst, Literatur, Musik und menschliche Be- ziehungen viel bedeuteten.“ 15 Diese retrospektive Einschätzung be- nennt die Beweggründe vieler deutscher Zahnärzte, die wegen ihrer jüdischen Abstammung nach 1933 verfolgt wur- den, ihre Emigration herauszuzögern oder sogar ganz davon Abstand zu nehmen. Sachs verlor 1934 die Kassenzulassung und war fortan auf Privatpatienten an- gewiesen. Seine letzte wissenschaft- liche Publikation konnten 1937 in der Schweiz erscheinen. 16 Im gleichen Jahr wurde Sachs von der Gestapo verhört, eine Hausdurchsuchung folgte. 17 Spä- testens zu diesem Zeitpunkt intensi- vierte er seine Bemühungen um eine Auswanderung. Am 9. November 1938 wurde er im Zuge der Reichspogrom- nacht inhaftiert und ins Konzentra- tionslager Sachsenhausen bei Berlin ge- bracht. Am 28. November wurde er nur unter der Voraussetzung gültiger Ausreisepapiere wieder freigelassen. Wie genau es Sachs gelang, die not- wendigen Visa für eine Emigration sei- ner Familie in die USA zu erhalten und inwieweit hier seine internationalen Kontakte eine Rolle gespielt haben, geht aus den überlieferten Unterlagen nicht hervor. In seiner Darstellung von 1966 verkürzt er die Flucht über Groß- britannien in die USA auf die Ankunft in New York und betont die Schwierig- keiten des Neuanfangs. 5 Leo Baeck Institute Archives AR 2564 Hans J. Sachs Collection. Series II: Wilhelm Sachs, 1,2; 6 Leo Baeck Institute Archives AR 2564 Hans J. Sachs Collection. Series I: Josef Wilhelm Sachs, 1,6 (Philadelphia); 7 Kupper, 1987; 8 Sachs, Hans J., o.J. [1966]; 9 Schlagenhauf, 2009; Groß, 2016, S. 82–94 10 Groß, 2018; 11 Reichspatentamt Patentschrift 508703 (1929); 12 Reichspatentamt Patentschrift 511967 (1929); 13 Additional information to the application of Dr. Hans J. Sachs; 14 Sachs, Hans J., 1933; 15 Sachs, Hans J., 1966, S. 186; 16 Sachs, Hans J., 1937; 17 Grohnert, 1992, S. 22 Hans Sachs‘ Praxis in Berlin, circa 1937 | 29

RkJQdWJsaXNoZXIy MjMxMzg=