Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 03

zm 110, Nr. 3, 1.2.2020, (152) Er schreibt: „Die Auswanderungs- bestimmungen erlaubten nicht die Mitnahme von Geld oder Wertsachen irgendwelcher Art. Mit den erlaubten 20 RM und einem genau ein Jahr alten Sohn erreichten meine Frau und ich New York. In der Überwindung großer Schwierigkeiten, die jeder mittellos ins Land Gekommene mit seiner Familie durchzumachen hatte, unterschied sich unser Leben in nichts von den tausendfach geschilderten Erlebnissen aller Emigranten.“ 18 ERNEUTE APPROBATION IN DEN USA – MIT 60! Vielleicht unterschied sich das Schicksal der Familie Sachs doch insofern, dass Sachs ein Freundesnetzwerk hatte, das zumindest einige wenige französische Künstlerplakate für ihn aus Deutsch- land retten konnte. Die verkaufte er nun und sicherte der Familie so den Lebensunterhalt. Wie befürchtet durfte Sachs ohne Abschluss einer US-ameri- kanischen Universität nicht als Zahn- arzt praktizieren. Nicht einmal ein Empfehlungsschreiben von Albert Ein- stein, dessen Frau in Berlin eine lang- jährige Patientin gewesen war, aus dem er in seinem familienbiografischen Aufsatz in den Zahnärztlichen Mit- teilungen von 1966 nicht ohne Stolz zitierte, 19 bewahrte ihn vor einem Nachstudium. Schon 60 Jahre alt, legte er in Boston an der Harvard Dental School und in New York die notwendi- gen Prüfungen ab und erhielt 1941 er- neut die zahnärztliche Approbation. Dieser Umstand hebt ihn von vielen anderen Emigranten ab, die nie wieder in ihrem Beruf arbeiten konnten, wie etwa der etwas jüngere Curt Proskauer (1887–1972), mit dem Sachs seit Studien- tagen befreundet war und der in New York als (Zahn-)Medizinhistoriker arbeitete. Sachs entfaltete dann noch eine langjährige Praxistätigkeit in New York, die er erst 1962 beendete. In der Erinnerungskultur der Zahn- medizin in der Zeit nach 1945 gehört die Lebensgeschichte von Hans J. Sachs zu den wenigen so ausführlich dargestellten Schicksalen von verfolg- ten jüdischen Zahnärztinnen und Zahnärzten. Eine Formulierung in der oben genannten biografischen Notiz von 1971 verdeutlicht die starke innere Distanz zur individuellen und kollekti- ven Verantwortung für das erlittene Unrecht dieser KollegInnen. Dort wird Sachs bezeichnet als ein „Kollege, den wir leider nicht bei uns behalten konn- ten, er mußte 1939 emigrieren“. Im Kontext der Verfolgung jüdischer Zahnärzte aus Berlin wurde Sachs dann 1994 gedacht 20 , ferner ist er auf der von der KZV Berlin errichteten Stele als Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung genannt. Schon als Schüler interessierte sich Sachs für französische Plakatkunst und gehörte 1905 zu den Begründern des „Vereins der Plakatfreunde“, der ab 1910 eine eigene Zeitschrift herausgab, die ab 1913 unter dem Titel „Das Plakat“ erschien. 21 Bis 1919 fungierte Sachs als Herausgeber und publizierte zahlreiche Beiträge, teilweise auch unter den Pseudonymen B. Kiesewetter, Karl Karrenbach und Fritz Hasemann. Auch wenn Verein und Zeitschrift 1922 auf- gelöst wurden, schrieben ihm bereits Zeitgenossen das Verdienst zu „das Verständnis für künstlerische Werbe- mittel in Deutschland erweckt und ge- fördert zu haben“. 22 Diese Anerken- nung innerhalb der Fachkreise setzte sich auch nach dem Ende seiner Sammlertätigkeit fort. 1956 formulierte einer der bekanntesten deutschen Plakatkünstler des frühen 20. Jahr- hunderts, der ebenfalls nach New York emigrierte und mit Sachs freundschaftlich verbundene Lucian Bernhard: „There lives in our midst a man [...] to whom the graphic artists of the Western world owe a great deal of gratitude.“ 23 Die Geschichte der Sachs‘schen Sammlung ist ein spannendes, kunsthistorisches Kapitel deutsch-deutscher Nachkriegs- geschichte. Sachs hatte seine Samm- lung, die etwa 12.500 Plakate, 18.000 kleinformatige, gebrauchsgrafische Ar- beiten und eine umfangreiche Biblio- thek zum Thema Gebrauchsgrafik um- fasste, kurz vor seiner zweiten Inhaftierung 1938 verkauft, um einer Konfiszierung zuvorzukommen. Die Übergabe kam nicht mehr zustande, die Sammlung wurde von den Natio- nalsozialisten beschlagnahmt und auf- geteilt, danach verliert sich ihre Spur zunächst. 24 Sachs selbst hielt seine Sammlung für verloren 25 und wurde 1963 von der Bundesrepublik materiell entschädigt. Wenige Jahre später er- hielt er die Information, dass große Teile doch erhalten geblieben waren und nun im Museum für Deutsche Ge- schichte in Ost-Berlin verwahrt wür- den. Aus politischen Gründen sollten, so belegen erst nach 1990 zugängliche Dokumente aus dem Museum, keine Informationen über den Verbleib der Sammlung an die Öffentlichkeit gelan- gen. Sachs konnte lediglich einen pri- vaten Kontakt zu dem zuständigen Kunsthistoriker aufnehmen. 26 Nach seinem Tod wurden 1981 einige Blätter illegal aus dem Bestand des Museums bei einem Münchner Auktionshaus versteigert. Nach der Wiedervereini- 18 Sachs, Hans J., 1966, S. 186; 19 Sachs, Hans, 1966; 20 Köhn, 1994; 21 Grohnert, 1992; 22 Frenzel, 1924; 23 Bernhard, 1956, S. 23–28, hier: 23; 24 Kremlin, 2009; 25 Sachs, Hans, 1957; 26 Grohnert, 1992, S. 23–24 DR. MATTHIS KRISCHEL Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf matthis.krischel@hhu.de Foto: privat Foto: zm 4/1966, S. 187 Hans Sachs in den USA (1941) 30 | GESELLSCHAFT

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