Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 03

zm 110, Nr. 3, 1.2.2020, (162) Differenzialdiagnostisch ist die OD von der Okklusopathie abzugrenzen (Tabelle). MANAGEMENT Das Beschwerdebild „Okklusale Dys- ästhesie“ ist Ausdruck einer funktionel- len Erkrankung, wobei „funktionell“ den bislang verwendeten Begriff „psychosomatisch“ ersetzt (siehe S3-Leitlinie „Funktionelle Körper- beschwerden“). Als solche ist es durch zahnärztliche Maßnahmen nicht ziel- führend behandelbar, sondern bedarf der fachärztlichen Betreuung. Okklu- sale Korrekturen sind nicht wirksam und sollten daher vermieden werden. Da Betroffene in der Regel auf ihr Krankheitsbild fixiert sind, empfiehlt sich ein wiederholtes Anbieten von nicht-invasiven Maßnahmen und Therapiealternativen außerhalb der Zahnmedizin. Wichtigstes therapeutisches Werkzeug ist die Beratung und Aufklärung über das Wesen des Beschwerdebildes. Wie bei allen funktionellen Erkrankungen ist nicht zu erwarten, dass die Patien- ten das Angebot einer psychologischen Betreuung oder einer Behandlungs- unterstützung durch einen Facharzt für psychosomatische Medizin zügig annehmen. Oft fühlen sie sich durch solche Überlegungen in ihrem Be- schwerdebild nicht ernst genommen. Daher sind ZahnärztInnen an dieser Stelle besonders gefordert, durch ge- duldigen und einfühlsamen Umgang eine ausreichend vertrauensvolle Behandlungssituation zu schaffen, die dem Patienten das Annehmen des fachlichen Rates erleichtert. Kurz- zeitig kann der Einsatz von Aufbiss- schienen zur Reizreduktion versucht werden. Unterstützend können Entspannungs- verfahren und Achtsamkeitstraining eingesetzt werden. Auch regelmäßiger Ausdauersport und das Pflegen sozialer Kontakte können als unspezifische Maßnahmen lindernd empfohlen werden. Als psychologisches Therapieverfahren kann eine kognitive Verhaltenstherapie einzelnen Patienten helfen, mit dem Beschwerdebild umzugehen. Spezifisch wirksame Medikamente zur Behandlung der okklusalen Dys- ästhesie sind nicht bekannt. Eine psychologische beziehungsweise psy- chiatrische Erkrankung kann gegebenen- falls fachärztlich medikamentös einge- stellt werden. ZUSAMMENFASSUNG Zum Management der okklusalen Dys- ästhesie werden folgende Maßnahmen empfohlen: 1. Aufklärung und Beratung (Erklä- rung der pathophysiologischen Zusammenhänge, gegebenenfalls Dokumentation der okklusalen Kontaktpunkte, Defokussierung) 2. Kognitive Verhaltenstherapie 3. Als zahnärztliche Intervention gegebenenfalls Schienentherapie 4. Fachärztlich geleitete medika- mentöse Therapie der Grund- erkrankung Eine Änderung der Okklusion ist NICHT zielführend und sollte unterlassen werden. PROGNOSE Wie bei allen funktionellen (vormals: psychosomatischen) Körperbeschwerden hängt die Prognose im Wesentlichen vom Erkennen des Beschwerdebildes durch den Zahnarzt als nicht körper- lich verursacht und der Akzeptanz die- ser Diagnose seitens der Betroffenen ab. Leider ist diese in der Regel gering und somit die Prognose in diesen Fäl- len als eher schlecht zu bewerten. Die Aufgabe des Zahnarztes besteht bei Patienten mit okklusaler Dysästhesie darin, Schäden zu vermeiden und irre- versible okklusale Behandlungen zu unterlassen, auch wenn Betroffene diese vehement einfordern. \ Ergänzende Hintergründe und Informationen sind in der S1-Leitlinie „Okklusale Dysästhesie – Diagnostik und Management“ zusammengefasst, abrufbar unter www.awmf.org/ leitlinien/detail/ll/083–037.html . Weiterführende Literatur: S3-Leitlinie „Funktionelle Körper- beschwerden“, AWMF 2018 (AWMF-Registernummer 051–001), www.awmf.org/leitlinien/detail/ ll/051–001.html DR. BRUNO IMHOFF Spezialist für Funktionsdiagnostik und -therapie (DGFDT) Josef-Haubrich-Hof 5, 50676 Köln imhoff@dgfdt.de Foto: privat KLINISCHE UNTERSCHEIDUNG ZWISCHEN OKKLUSOPATHIE UND OKKLUSALER DYSÄSTHESIE OKKLUSOPATHIE störende Zahnkontakte in statischer und/oder dynamischer Okklusion, die objektivierbar dargestellt werden können (Befund = Befinden) Eine Okklusopathie ist durch eine Behandlung der Ursache (muskulär, arthrogen, skelettal, okklusal) gut beherrschbar. OKKLUSALE DYSÄSTHESIE Vermeintlich störende Zahnkontakte in statischer und/oder dynamischer Okklusion, die in der Regel nicht objektivierbar sind (Befund ≠ Befinden) UND häufig für (mehrere) andere unspezifische Körperbeschwerden verantwortlich gemacht werden. Änderungen der okklusalen Kontakte führen nicht zu einer dauerhaften Symptomlinderung. 40 | ZAHNMEDIZIN

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