Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 110, Nr. 4, 16.2.2020, (252) JOE BAUSCH BERICHTET VON SEINER ARBEIT ALS ANSTALTSARZT Zahnmedizin im Knast „Mit einem millionenschweren Verbrecher verhandelt man besser im Vorfeld über die Rechnung für seine neuen Implantate!“ Joe Bausch wurde bekannt als Rechtsmediziner Dr. Joseph Roth im Kölner Tatort. Auf dem Zahnärztetag in Sachsen-Anhalt erzählt er, was er in 32 Jahren als Anstaltsarzt in der JVA erlebt hat. I n der Justizvollzugsanstalt Werl in NRW sitzen bis zu 1.100 verurteilte Straftäter aus 57 Nationen ein. Abge- schottet von sechs Meter hohen Mauern und Elektro- zäunen verfügt das Gefängnis über eine der größten Sicherheitsverwahrungen des Landes. Doch wie sieht der Behandlungsalltag mit Patienten aus, die für Steuersünden, Drogendeals oder schwere Gewaltverbrechen bis hin zu Mord zu Haftstrafen verurteilt sind? Es fängt an mit dem Gesetz der Überzahl, erzählt Bausch: Zum Schutz von Ärzten und Assistenten müssen immer mehr Polizisten oder Sicherheitsmitarbeiter im Raum sein als Patienten. „Selbstverletzungen und Suizidversuche sind keine Seltenheit“, betont Bausch. 87 Selbstmorde wurden in seiner Zeit als Anstaltsarzt verübt. Denn die meisten Insassen sind psychisch und physisch in schlechter Verfassung. Wenn dann noch ein Drogenentzug hinzu kommt, kann es unangenehm für alle Beteiligten werden. „Das Leben hat sie aus der Bahn geworfen und der Knast mit seiner Enge macht sie erst richtig krank“, berich- tet Bausch. Die sieben Quadratmeter kleine Zelle wirke er- drückend, der Entzug der Privatsphäre und die überwiegende Isolation seien für die Häftlinge die härteste Strafe. Auch im Knast gilt für Ärzte die Schweigepflicht. Wenn Häftlinge während der Behandlung von ihren Taten und Geheimnissen erzählen, darf Bausch davon nichts weiter- geben. Es sei denn, er bekommt Hinweise auf – geplante – Verbrechen innerhalb des Strafvollzugs. MASSIVER ZAHNVERFALL, MISSTRAUEN, AGGRESSIONEN Die meisten Patienten hätten eine schlechte Mundhygiene und schon in jungen Jahren schadhafte Zähne, schildert Bausch den „Behandlungsalltag“. Drogenkonsum und die dadurch oft geäußerte körperliche Unruhe und Aggression zermürbten das Gebiss durch Knirschen. Infektionskrank- heiten wie HIV und Hepatitis C seien keine Seltenheit. Geben die Inhaftierten ihren Krankheitsstatus nicht an, könne – anders als „draußen“ – die Abfrage des Immunstatus zwangsweise erfolgen. Zwar hätten die Gefängnis-Patienten hohe Erwartungen an die Ärzte, dennoch gehörten Miss- trauen, Beschimpfungen und Aggressionen zum Praxisall- tag. So gebe es auch viele Beschwerden über die Behandler, die meisten davon würden aber wieder zurückgezogen. Die Häftlinge haben Anspruch auf medizinische Grund- versorgung. Die Heilbehandlung wird im Regelfall über- nommen. Die Kosten dafür trägt der Staat. Viele der Patien- ten kommen nach Jahren das erste Mal wieder in ein Behandlungszimmer und sprechen mit einem Arzt. Schwere Parodontitis, Gingivitis und massiven Zahnverfall gebe es häufiger „als in der Zahnarztpraxis draußen“, sagt Bausch. Wie bei gesetzlich versicherten Patienten bestehe das Äquivalenz-Prinzip. Die Versorgungspflicht kontrolliere allerdings nicht die Krankenversicherung, sondern der Staatsanwalt. Alles was über die Grundversorgung hinaus- geht, wird dem Häftling in Rechnung gestellt. „Mit einem millionenschweren Verbrecher verhandelt man besser im Vorfeld über die Rechnung für seine neuen Implantate“, macht Bausch klar. „Sonst schickt der noch seinen Anwalt mit Anfechtungen und Mängel-Vorwürfen vorbei. Und das kann teuer werden.“ Bausch schloss seinen Vortrag mit dem Hinweis, dass die medizinische Versorgung und – vor allem – die Gespräche mit den Patienten ein wichtiger Beitrag für die Sozialgesell- schaft seien, denn nur gesunde Patienten könnten wieder zurückfinden. LL Bausch war von 1986 bis Ende 2018 als Anstaltsarzt in der JVA Werl tätig. In seinen Büchern Knast (2012) und Gangsterblues (2018) berichtet er von seinen Erlebnissen als Mediziner im Gefängnis. Die Zustände der Zähne und die Mundhygiene seien häufig desaströs, das Praktizieren mit unkooperativen Patienten schwierig. 22 | GESELLSCHAFT

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