Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04

zm 110, Nr. 4, 16.2.2020, (254) GERODONTOLOGIE „Für Implantate ist man nie zu alt“ Das erste Implantat mit 100? Warum nicht, sagt Prof. Frauke Müller. Aus ihrer Sicht ist es niemals zu spät für ein gutes Gebiss. Mehr Zähne bedeuten schließlich mehr Lebensqualität. Gern auch in A1 oder B1, wenn es Freude macht. Nur die Pflegekräfte müssten fundierter ausgebildet werden. I hr bislang ältester Patient war 100 Jahre und sechs Monate alt, als er seine ersten Implantate eingesetzt bekam. Müller ist Leiterin der Abtei- lung für Gerodontologie und abnehm- bare Prothetik der Universität Genf. Als eine der RednerInnen beim 14. Hamburger Zahnärztetag Ende Januar („Implantologie. Heute.“) sprach sie zum Thema Implantate und Prothe- sen. Ihr Credo: „Es gibt keinen Grund, warum ältere Patienten nicht am Fortschritt der Zahnmedizin teilhaben sollten.“ Allerdings habe der beste und schönste Zahnersatz wenig Sinn, wenn der Patient körperlich oder geistig zu gebrechlich ist, um ihn fachgerecht einzusetzen, und gleichzeitig dem Personal im Altenheim die Kenntnisse darüber fehlen. Müller fordert: „Pflege- kräfte wissen oft nicht, was ein Im- plantat ist, weil sie diesbezüglich nicht geschult wurden. Oft wissen sie auch nicht, wie Prothesen gepflegt werden. Eine fundierte Ausbildung muss in die Grundausbildung eingebunden wer- den. Der Anteil der Zahnlosen in der Altersgruppe der 75- bis 100-Jährigen in Deutschland liegt bei 32,8 Prozent.“ A1 PASST DOCH SUPER ZU WEIßHAARIGEN „Mit Zahnverlust verlieren wir an Lebensqualität“, sagt Müller. „Viele Medikamente bewirken zudem Mund- trockenheit. Und bei älteren Menschen lässt die Zungenkraft nach, das geht mit weniger Reinigungskraft während des Essens einher. Normalerweise schluckt man 30 Prozent der Bakte- rien, bei alten Patienten ist das nicht mehr so, weil die muskulären Funktio- nen nachlassen.“ Im Hamburg zeigte Müller das rührende Kurzvideo eines älteren Heimbewohners, dem seine Prothese vom Pfleger verkehrt herum angereicht wurde. Vergeblich versuchte er, sie einzusetzen, drehte sie im Mund herum. Nun saß sie endgültig falsch. Noch einmal herumgedreht – und schon passte sie. Die Freude des Trägers war mitreißend. Und ist für Müller An- sporn, unermüdlich für die perfekte zahnmedizinische Versorgung für Ältere zu werben. Seit 2010 ist sie Präsidentin der Schweizerischen Gesellschaft für die zahnmedizinische Betreuung Be- hinderter und Betagter (SGZBB). Dass die Betreuung älterer Patienten, die Implantate tragen, durchaus eine Herausforderung ist, weiß Müller selbst aus langjähriger Erfahrung: „Man sollte Patienten nichts aufschwatzen, das ist von vornherein zum Scheitern ver- urteilt.“ Andererseits gelte es, älteren PatientInnen – endlich – den oft lang gehegten Wunschnach Implantaten oder einer perfekt sitzenden Prothese, zu erfüllen. „Bei Weißhaarigen sieht die Farbe A1 manchmal richtig gut aus“, sagt Müller. Und: „Je fragiler der Patient, desto besser muss die Prothese sein.“ Wer plötzlich wieder gut kauen kann, gewinne nicht nur an Lebens- freude, sondern sei auch besser ge- schützt vor Mangelernährung, von der viele betagte Menschen betroffen sind. Und Müller verriet auch, dass es viele kleine, unverkennbare Anzeichen gibt, dass ein Patient altert und möglicher- weise dement wird. „Ältere Patienten interessieren sich für ihre Zahnärzte, jüngere nicht. Die würden niemals nach Privatem fragen.“ Wenn aber zu- verlässige Patienten im fortgeschritte- nen Alter plötzlich Termine vergessen, man Nachlässigkeiten bei der Kleidung feststellt oder sie in Begleitung von Fa- milienmitgliedern zum Kontrolltermin kommen, dann sei erhöhte Aufmerk- samkeit angebracht. „Die erste Phase der Demenz dauert meist sechs bis zwölf Monate. Währenddessen besteht die Gefahr, dass das Gebiss zusammen- bricht.“ silv Foto: zm_silv Prof. Frauke Müller kämpft für eine bessere zahnmedizinische Versorgung älterer und betagter Menschen. Ihre Philosophie: „Je fragiler der Patient, desto besser muss die Prothese sein.“ Foto: Юрий Красильников - stock.adobe.com 24 | ZAHNMEDIZIN

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