Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 04
zm 110, Nr. 4, 16.2.2020, (304) in Erscheinung“ getreten sei – ein durchaus ungewöhnlicher Kom- mentar, da Nekrologe eher auf die Würdigung und Herausstellung von Lebensleistungen angelegt sind. 1 Auch in der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde spielte er keine Rolle. 23 Carl-Heinz Fischer, akademischer Schüler von Fabian und späterhin Rektor der Universität Düs- seldorf, erinnerte sich zudem an die geringen lehrdidaktischen Fähigkeiten Fabians: „Er war ein schlechter Redner und brachte dabei noch anthropologische Erkenntnisse über die Entwicklung des menschlichen Gebisses, die seine Hörer wenig fesselten.“ 24 LAUT ENTNAZIFIZIERUNG GALT ER ALS „ENTLASTET“ Warum wurde Fabians Biografie für die Reihe der zahnärztlichen Täter ausge- wählt – obwohl es doch Zahnärzte gab, die als Kriegsverbrecher unmittelbar mit Tatvorwürfen wie Mord oder Totschlag belegt wurden 25–28 oder in der Waffen- SS hohe Positionen erreichten 29–31 ? Im Wesentlichen aus drei Gründen: Zum Ersten war Fabian ein glühender Nationalsozialist und SS-Mann, der so- wohl gegen parteiinterne Gegner als auch gegen Juden vehement vorging und vom NS-Regime karrieretechnisch profitierte. Zum Zweiten lässt sich an seinem Bei- spiel der sukzessive Wandel im Um- gang mit NS-Tätern zwischen 1945 und 1949 veranschaulichen: Wurde er zunächst entlassen, in Haft gesetzt und als Arzt für untragbar erklärt, so schloss er 1949 das Entnazifizierungsverfahren als „Entlasteter“ ab. Er war damit poli- tisch vollständig rehabilitiert. Insofern spiegelt sein Lebenslauf „die allgemeine Bereitschaft zur Reintegration auch hochgradig belasteter Nationalsozialisten in der frühen Bundesrepublik“ wider. 4 Zum Dritten ist Fabian jüngst in den Blickpunkt der deutschen Medien ge- rückt: 2017 wurde berichtet, dass er in Hamburg „über Jahrzehnte eine gigan- tische Sammlung sterblicher Über- reste“ mit zum Teil unbekannter Herkunft angelegt hatte. Sie waren dem Hamburger Medizinhistorischen Museum überantwortet worden und führten nun zu einer intensiven – und bis heute anhaltenden – Debatte um den adäquaten Umgang mit derartigen „human remains“ 32 . Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang, dass Heuser bereits 1970 im erwähnten Nachruf auf dessen Sammlung zu sprechen kam: „Besondere Verdienste erwarb sich der Verstorbene durch die Erstel- lung einer hervorragenden Sammlung, die weit über die Grenzen Hamburgs hinaus bekannt geworden ist.“ Heuser merkte an, dass Fabian dieselbe seiner Alma Mater in Marburg vermacht habe. 1 Kaum jemand dürfte damals geahnt haben, dass Fabian aufgrund eben- dieser Sammlung ein halbes Jahr- hundert später zu einem öffentlichen Thema werden würde. \ 23 Groß/Schäfer, 2009; 24 Fischer, unveröffentlichtes Typoskript [1985], hier 468; 25 Rinnen/Westemeier/Gross, 2020;44:in press; 26 Schmidt/Groß/ Westemeier, 2018, 113–127; 27 Heit/Westemeier/Groß/Schmidt, 2019;227(11); 28 Schwanke/Gross, 2020;94:in press; 29 Groß, 2018b;73(3):164–178; 30 Groß/Westemeier/Schmidt/Halling/Krischel, 2018; 31 Westemeier/Groß/Schmidt, 2018, 93–112; 32 Maxwill/Neumann, 16.05.2017 ZM-SERIE TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Therese Schwarz – Pionierin des Frauen- studiums, Zahnärztin in Wiesbaden, „Flucht in den Tod“ Thorsten Halling, Matthis Krischel Am 18.10.1943 starb Dr. Therese Schwarz, geschiedene Köbig, in Frankfurt an einer Überdosis Veronal. Sie gehörte der ersten Generation von Frauen in Deutschland an, die Zahnmedzin studieren konnten – ihr Schicksal ist beispiel- haft für viele verfolgte, vertriebene und ermordete Zahnärztinnen und Zahnärzte in der Zeit des Nationalsozialismus, die in der Selbsttötung den letzten – selbstbestimmten – Ausweg sahen. V or etwas mehr als 25 Jahren war sie eine der ersten in der Zeit der Nationalsozialismus ver- folgten Frauen, der in den Zahnärzt- lichen Mitteilungen (1994) 1 gedacht worden war. Inzwischen ist das Wissen um individuelle und strukturelle Aspekte von Ausgrenzung und Ver- folgung in gesellschaftlichen Teil- bereichen wie der Zahnheilkunde stark angewachsen. Die Biografie von Therese Schwarz, die hier um neue Forschungs- erkenntnisse ergänzt wird, steht somit auch für die Entwicklung der fachkul- turellen Erinnerung in der deutschen Zahnmedizin. Therese Schwarz wurde am 6.3.1893 in München geboren. 1899 zog sie mit ihren Eltern Frida und Sigmund Schwarz sowie ihrem jüngeren Bruder Wilhelm nach Worms. Vater Sigmund war Kaufmann. 1913 legte sie an der Oberrealschule zu Worms die Reife- prüfung ab. 1 Zahnärztliche Mitteilungen Bd. 84, 1994: S. 1542–1548 74 | GESELLSCHAFT
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