Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05
zm 110, Nr. 5, 1.3.2020, (424) gegen Ende der Behandlung oftmals wieder verbessert [Boltong et al., 2014]. In einer eigenen Studie wurde der Mundgesundheitszustand von 80 post- menopausalen Brustkrebspatientin- nen, die eine kombinierte Radio- und Chemotherapie erhielten (Patientin- nen mit Antihormontherapie wurden aus der Studie ausgeschlossen), unter- sucht und mit gleichaltrigen gesunden Frauen verglichen [Willershausen et al., 2019]. Die zahnärztliche Befun- dung umfasste neben der Ermittlung der Kariesfrequenz und des PSI-Werts auch eine radiologische Untersuchung, die eine differenzierte Bewertung der endodontischen Situation und der Diagnostik möglicher apikaler Herde dieser Patientinnen zuließ. Es zeigte sich, dass bei Brustkrebsüberlebenden im Vergleich zu den Kontrollpersonen eine reduzierte Gesamtdentition vorlag (Abbildung 2), ein Ergebnis, das auch von anderen Autoren beschrieben wurde [Amodio et al., 2014]. Neu ist allerdings die Erkenntnis, dass Brustkrebsüberlebende im Vergleich zu den Kontrollpersonen – bei gleicher Anzahl wurzelkanalbehandelter Zähne – signifikant mehr apikale Läsionen endodontischen Ursprungs aufwiesen (Abbildungen 3 bis 5). Obgleich die Kausalität dieses Befunds noch nicht eindeutig geklärt ist, spielt vermutlich eine Rolle, dass Zytostatika die Homö- ostase der ausbalancierten oralen Mikroflora stören und das orale Mikro- biom in Richtung eines komplexen und potenziell pathogeneren Keim- spektrums verschieben [Napenas et al., 2010; Cidon, 2018; Nihei et al., 2018]. Eine intraorale Dysbalance, einhergehend mit einer erhöhten Anzahl pathogener Keime, kann in Folge die Virulenz bestehender bakte- rieller Prozesse erhöhen (Abbildungen 4 und 5). Die vermehrte Anzahl apikaler Läsionen bei den Brustkrebsüberlebenden in unserer Studie könnte womöglich eine Folge der veränderten, pathogeneren oralen Flora bei gleichzeitiger Zytosta- tika-induzierter Immunsuppression sein [Willershausen et al., 2019]. Ferner können Neuropathien, als häufige Nebenwirkung von Chemotherapien, auch pulpale Gewebsstrukturen mitbe- einflussen, so dass sich Vitalitätsverluste der Pulpa mit Bildung chronischer api- kaler Entzündungsprozesse möglicher- weise partiell auf diesen Mechanismus zurückführen lassen. Nicht nur die Entstehung apikaler Läsionen scheint in diesem Patientinnenkollektiv be- günstigt, vielmehr verschlechtert die Grunderkrankung beziehungsweise deren Therapie womöglich auch den Erfolg endodontischer Maßnahmen, was letztlich zu einem erhöhten Zahn- verlust führen kann. In unserer Studie wurde sowohl bei den Tumorüberlebenden als auch bei der Kontrollgruppe der OHIP-14-Frage- bogen als etabliertes Messinstrument der mundgesundheitsbezogenen Le- bensqualität sowie der HADS-D-Frage- bogen zur Erfassung möglicher depres- siver Symptomatik erhoben. Während der OHIP-Wert bei beiden Gruppen vergleichbar war, zeigten die Tumor- patientinnen signifikant mehr depres- sive Symptomatik (HADS-D-Score) als die Kontrollgruppe. Statistisch korre- lierte ein hoher HADS-D-Score mit der Anzahl der fehlenden Zähne. Ein Zusammenhang zum Bildungsstand oder zum Alter der Patientinnen konnte jedoch nicht gefunden werden. Es ist statistisch belegt, dass depressive Patienten eine ungünstigere Mund- gesundheit mit höherer Kariesfrequenz, kompromittiertem parodontalem Zu- stand sowie vermehrtem Zahnverlust aufweisen, so dass diese eine intensivere zahnärztliche Betreuung benötigen [Pareira et al., 2015; Alkan et al., 2015; Jardim et al., 2019]. Endokrine Therapie Da eine immer größere Anzahl von Frauen mittels endokriner Therapie behandelt wird, ist es wichtig, die typischen intraoralen Nebenwirkungen dieses Behandlungsregimes zu kennen. Während eine Chemotherapie lang- fristig die Gesamtzahnzahl reduziert und das Auftreten von endodontischen Läsionen begünstigt, stehen unter endokriner Therapie insbesondere parodontale Probleme mit erhöhten Taschentiefen, Blutungsneigung und Attachmentverlusten im Vordergrund [Muthular et al., 2019; Lo-Fo-Wong et al., 2016; Taichmann et al., 2015; 2016, 2018; Eagle et al., 2016]. Taichmann et al. beobachteten bei 29 postmenopausalen Brustkrebsüber- lebenden nach Antihormontherapie einen erhöhten Attachmentverlust, Blutung auf Sondierung, erhöhte Lockerungsgrade und eine verminderte Speichelflussrate [Taichmann et al., 2015]. Im Vergleich zu 29 gleichaltrigen gesunden Kontrollpersonen konnte aber keine Verminderung der Anzahl der Zähne festgestellt werden. Eagle et al. überprüften über einen Zeitraum von 18 Monaten den parodontalen Gesundheitszustand von postmeno- pausalen Brustkrebspatientinnen [Eagle et al., 2016]. Auch hier wurden Brustkrebsüberlebende nach Anti- hormontherapie zahnärztlich unter- sucht und mit einer gesunden Kon- trollgruppe verglichen. Es zeigte sich, dass die Tumorpatientinnen mit Anti- Hormontherapie im Vergleich zur Kontrollgruppe im Laufe der Beobach- tungszeit eine signifikant erhöhte gin- givale Blutungsneigung, vermehrte Plaqueanlagerungen sowie erhöhte Attachmentverluste aufwiesen. Der mundgesundheitsbezogene Frage- bogen (OHRQoL) machte auch sicht- bar, dass die Brustkrebspatientinnen einen viel schlechteren Mundgesund- heitsscore aufwiesen. Auch der OHOP-14 belegte insbesondere zu Therapie- beginn eine verminderte mundge- sundheitsbedingte Lebensqualität mit erhöhter depressiver Symptomatik – was sich nachweislich negativ auf die Mundhygiene und die Zahngesund- heit auswirkt. FAZIT UND PROPHYLAXEEMPFEHLUNGEN Brustkrebserkrankungen zählen zu den führenden malignen Karzinomen bei Frauen und werden mittels Chi- rurgie, Radio- und/oder systemischer Therapie behandelt. Insbesondere die systemischen Therapieformen wie Chemo- und Anti-Hormontherapie PROF. DR. MED. DENT. DIPL.-CHEM. BRITA WILLERSHAUSEN Mediplus MVZ GmbH Haifa-Allee 20, 55128 Mainz Foto: privat 58 | MEDIZIN
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