Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05

zm 110, Nr. 5, 1.3.2020, (440) Steinhardt, der unbeschadet seiner Zugehörigkeit zur Waffen-SS wichtige Beiträge zur Physiologie und Patho- logie des Kiefergelenks lieferte und 1965 zum DGZMK-Präsidenten arri- vierte. 33 Faber machte dagegen vor allem durch umstrittene Positionen von sich reden: So trat er als Vertreter des „Schmelzvitalismus“, das heißt der Vitalität des Schmelzes, auf. Er hatte sich 1927 zum „organischen Gewebe des menschlichen Zahnschmelzes“ ha- bilitiert und glaubte dabei zu gesicher- ten Erkenntnissen gekommen zu sein. Jedenfalls führte er in dieser Frage einen ausgedehnten Meinungsstreit mit dem langjährigen DGZMK-Präsi- denten Otto Walkhoff, der (völlig korrekt) von avitalem Schmelz aus- ging. 31,32 Zudem galt Faber als „Vor- kämpfer“ der „Einheitsstandbewegung, die den Stand der Dentisten aufheben“ wollte. Tatsächlich kam es in den 1950er-Jahren zu einer Integration der Dentisten in den Zahnärztestand. 34 KEINE REUE, KEIN BEDAUERN Wie die meisten Angehörigen der Waffen-SS fand Faber nach 1945 nicht zu einer kritischen Selbstreflexion. Vielmehr verteidigte er – ähnlich wie sein Marburger Kollege Hans Fliege 35 – seine politische Haltung im „Dritten Reich“ rückblickend mit folgenden Worten: „Ich stehe voll und ganz zu dem, was ich früher parteipolitisch ge- dacht und getan habe [...] Wenn sich ein Mensch früh zum Nationalsozialis- mus bekannt hat, hat dieses sein Bekenntnis noch beseelt sein können von reinen idealen, anständigen, ehr- lichen Gefühlen [...] Ich habe erstmals geirrt im Glauben an vermeintlich Gutes, aber nicht gesündigt.“ 36 \ 33 Groß/Schäfer, 2009; 34 Groß, 2019; 35 Groß/Krischel, FAZ, 4.12.2019; 36 StA Freiburg, D 180/2–191.924 ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Hans Türkheim – Hochschullehrer, Migrant, Zahnarzt in England Matthis Krischel, Carmen Hohmann, Thorsten Halling Hans Jacob Türkheim war einer von 16 Hochschullehrern, die bereits 1933 von der Universität Hamburg wegen ihres jüdischen Glaubens entlassen wurden. Der Kariesforscher und Prothetiker 1 emigrierte 1936 nach England, wo er wieder Fuß fassen konnte und schnell wissenschaftliches Renommee erwarb. Deutschland gegenüber blieb Türkheim nach 1945 skeptisch, nahm aber trotzdem eine Honorarprofessur in Hamburg an. T ürkheim wurde 1889 in Hamburg in eine bürgerliche, jüdische Familie geboren. Sein Vater Julius war in der Hansestadt als praktischer Arzt niedergelassen und arbeitete als Polizeiarzt 2 , seine Mutter Marie, geborene Laskar, stammte aus einer an- gesehenen jüdischen Hamburger Kauf- mannsfamilie, die als Kolonialwaren- händler unter anderem Südfrüchte und Palmöl importierte. 3 Auf Türkheims Geburtsurkunde ist der Vater als „kon- fessionslos“ angegeben, die Mutter der jüdischen Religion zugehörig. 4 Nach dem Abitur nahm Türkheim 1908 in Würzburg das Studium der Zahnmedizin auf, das er 1911 in Mün- chen mit dem Staatsexamen abschloss. Während des Studiums lernte er seine Ehefrau Margarete Speyer kennen, die aus einer Kölner jüdischen Familie stammte und ebenfalls Zahnärztin wurde. 5 Während der zweijährigen Assistenzzeit an der klinischen Abtei- lung des zahnärztlichen Instituts der Münchener Universität hörte Türkheim neben der klinischen Arbeit human- medizinische Vorlesungen und leitete das wissenschaftliche Labor der Ab- teilung, wo er auch histologisch und bakteriologisch arbeitete. 6 Ebenfalls in München entwickelte sich eine 1 Hohmann, 2009; 2 Hohmann, 2010, 45–46; 3 Hohmann, 2010, 23–31; 4 Geburtsurkunde Hans Jacob Türkheims aus dem Geburtsregister; 5 Hohmann, 2010, 63–66; 6 Hohmann, 2010, 69 PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 74 | GESELLSCHAFT

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