Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05
zm 110, Nr. 5, 1.3.2020, (441) enge Freundschaft 7 zwischen Türkheim und dem neun Jahre älteren Alfred Kantorowicz (1880–1964), der als Ver- treter der sozialen Zahnheilkunde und Professor in Bonn zu den prominentes- ten Zahnmedizinern seiner Generation zählen sollte. Auch Kantorowicz musste aufgrund seiner jüdischen Herkunft nach 1933 aus Deutschland fliehen und arbeitete danach in der Türkei, be- vor er 1950 nach Bonn 8 zurückkehrte. 9 DER ERSTE HABILITIERTE ZAHNARZT IN HAMBURG Ende 1913 ließ sich Türkheim in seiner Heimatstadt Hamburg in privater Pra- xis nieder und heiratete im Jahr darauf Margarete Speyer. Die beiden Söhne Herbert und Franz-Alfred, genannt Peter, wurden 1914 und 1919 geboren. 1915 meldete der ursprünglich aus gesund- heitlichen Gründen ausgemusterte Türkheim sich freiwillig zum Kriegs- dienst und war bis 1916 Bataillons- zahnarzt beim Landsturmbataillon IX/28 in Hamburg. 10 Bis 1919 war die Promotion für Zahn- ärzte nicht an den medizinischen Fakultäten, sondern nur an den philo- sophischen Fakultäten möglich. 11 Die in diesem Jahr gegründete Universität Hamburg erlaubte ab 1920 die Promo- tion im Fach Zahnmedizin und „eine gute Woche nach Erlaß der Promotions- ordnung, wurde Türkheim zum ersten Dr. med. dent. der jungen Hamburger Medizinischen Fakultät“ promoviert. 12 Der neu berufene Leiter des Zahn- ärztlichen Instituts, Guido Fischer (1877–1959) 13 , bot Türkheim eine Stelle als Volontärassistent an. Bereits 1921 konnte Türkheim sich als erster Hamburger Zahnarzt habilitieren und wurde Privatdozent. Während dieser Zeit nutze er das wissenschaftliche Labor der Schulzahnklinik für seine Forschungen. 14 1926 wurde Türkheim nach dem Ausscheiden seines Vorgängers Leiter der Prothetischen Abteilung am Zahn- ärztlichen Institut der Universität Hamburg und damit besoldeter Hoch- schuldozent. Die Arbeit in der privaten Praxis setzte er weiterhin fort, dafür nahm er eine Kürzung seiner Bezüge um 25 Prozent in Kauf. 1930 wurde er zum außerordentlichen Professor er- nannt. 15 Zu den Schwerpunkten seiner wissenschaftlichen Arbeit gehörten in dieser Zeit histologische Untersuchun- gen, die Kariesforschung, die Sinnes- physiologie – das Thema seiner Habili- tation – sowie werkstoffkundliche Untersuchungen in der konservativen und prothetischen Zahnheilkunde. 16 Zwischen 1923 und 1933 betreute Türkheim in Hamburg mindestens 40 zahnmedizinische Doktorarbeiten. 17 NACH DEM KRIEG SCHRIEB ER NUR NOCH AUF ENGLISCH Türkheim veröffentlichte 95 Arbeiten, darunter drei Monografien und mehrere Handbuchbeiträge. Während er in Deutschland tätig war, schrieb er auf Deutsch, nach einer durch die Emi- gration bedingen Publikationspause fast ausschließlich auf Englisch. 18 In Hamburg war Türkheim im „Zahnärzt- lichen Verein in Hamburg“ aktiv und regte nach dem ersten Weltkrieg die Gründung seines „Wissenschaftlichen Ausschusses“ an, dem er auch ange- hörte. 19 In England gehörte er zu den Gründungsmitgliedern der „Continen- tal Dental Society“ und war zehn Jahre ihr Vorsitzender (siehe unten). Türkheims Ehefrau Margarete verstarb am 3. Mai 1933 an einem Krebsleiden und hinterließ ihn mit den 18 und 13 Jahre alten Söhnen. 20 Kurz zuvor, im April 1933, war Türkheim wegen des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ von seinen Auf- gaben als Hochschullehrer entbunden und zum 31. Juli aus dem Beamten- verhältnis entlassen worden. Damit verlor er auch die Lehrbefugnis und den Zugang zum wissenschaftlichen Labor, was seine wissenschaftliche Tätigkeit in Deutschland beendete. Weitere Demütigungen folgten: 1936 wurde er aufgefordert, den Professoren- titel von den Namensschildern an sei- ner Wohnung und Praxis zu streichen und 1940 – nach der Emigration – ent- zog die Hamburger Universität ihm ge- mäß des „Gesetzes über die Führung akademischer Grade“ den Doktortitel, weil ihm die deutsche Staatsbürger- schaft entzogen worden sei. 21 Für das Zielland England entschied sich Türkheim bewusst. Er hatte das Land bereits besucht, hatte Kontakte zu Kollegen dort und beherrschte die Sprache. Außerdem war es für deutsche Zahnärzte dort grundsätzlich möglich, in ihrem Beruf zu arbeiten – anders als in vielen anderen Ländern. 22 Mit der steigenden Zahl von Immigranten wurde die Berufsausübung aber auch hier praktisch immer schwieriger. 23 Quelle: Nachlass Türkheim / Hohmann Abb. 1: Hans Türkheim, 1935, Nachlass Hans Türkheim, reproduziert aus Hohmann, 2010, S. 119 ZM-LESERSERVICE Die Literaturlisten können auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 7 Hohmann, 2010, 72; 8 Forsbach, 2018; 9 Groß, 2018a; 10 Vorfahrensnachweis und Abstammungsnachweis von Hans Türkheim, 24.4.1933; 11 Krischel, 2017; 12 Hohmann, 2010, 85; 13 Groß/Krischel, 2020, 27; 14 Hohmann, 2010, 89–95; 15 Hohmann, 2010, 96–98; 16 Hohmann, 2010, 159–277; 17 Hohmann, 2010, 305–306; 18 Hohmann, 2010, 159; 19 Hohmann, 2010, 278–279; 20 Hohmann, 2010, 118; 21 Hohmann, 2010, 118–121; 22 Hohmann, 2010, 127; 23 Zamet, 2006; | 75
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