Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05

zm 110, Nr. 5, 1.3.2020, (442) Im Oktober 1936 kam Türkheim in London an und nahm die Arbeit als Zahnarzt in der Praxis des englischen Kollegen Nathan Lewin im Londoner West-End (34 Devonshire Place) auf. 24 1942 heiratete Türkheim die ebenfalls aus Hamburg stammende Immigran- tin Franziska (in England: Frances) Reiss, geb. Simonis (1899–1983?). 25 1943 gehörte Türkheim zu den Grün- dungsmitgliedern der „Continental Dental Society“ 26 , eines Vereins für vor allem deutsche und österreichische Zahnärzte, die zu wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Zwecken zu- sammenkamen. 1945 wurde er Vorsit- zender der Gesellschaft. Unter seiner Ägide wurden wissenschaftliche und praktische Fortbildungen angeboten, die nicht nur von Immigranten, son- dern auch von britischen Zahnärzten besucht wurden. 27 Dem trug der Ver- ein Rechnung, indem er sich 1957 in „Anglo-Continental Dental Society“ umbenannte. Bis 1976 richtete der Verein jährlich die „Hans Turkheim Memorial Lecture“ aus. 1983 wechselte der Name erneut, diesmal zu „Euro- pean Dental Society“, die sich jedoch drei Jahre später auflöste. 28 Türkheims wissenschaftliches Renommee in Eng- land lässt sich auch daran ablesen, dass er 1949 zum Mitglied der Royal Society of Medicine gewählt wurde. 29 Im Jahr 1948 reisten Türkheim und seine Ehefrau Frances zum ersten Mal nach Kriegsende wieder nach Deutschland. Die Zahnärztekammer Hamburg hatte ihn zu einem Vortrag über die „zahnärztlichen Verhältnisse in Großbritannien“ 30 eingeladen. In persönlichen Reiseberichten bemer- ken die Türkheims Scham und Ver- drängen der nationalsozialistischen Verbrechen unter den Hamburgern. Türkheim erlebte dies auch als persönliche Ablehnung. Er schrieb: „Hier merkte ich zum ersten Mal, wie unerwünscht meine Rückkehr war. [Ein Syndikus der Hamburger Univer- sität] war kalt, eisig und ablehnend, als ob er sich aergerte darueber, daß ich waehrend der ganzen Jahre in Sauss und Brauss und in England leben konnte, waehrend er mit den anderen Volksgenossen die teutsche Heimat vor dem juedischen Dolch- stoss retten mussten.“ 31 „MEINE RÜCKKEHR WAR UNERWÜNSCHT“ Für Türkheim war zu diesem Zeitpunkt klar, dass er nicht nach Deutschland zurückkehren wollte. Dennoch nahm er 1951 über einen Rechtsanwalt Kon- takt zur Universität Hamburg auf, der im Jahr 1952 zu seiner Ernennung zum Honorarprofessor führte (Abbil- dung 2). Türkheim erklärte: „Wenn die Fakultät bereit ist, mich zu reha- bilitieren, bin ich natürlich auch be- reit, Vorlesungen zu halten.“ 32 Dekan Schuchert war Kieferchirurg 33 und setzte sich für die Ernennung Türkheims ein. Er führte Unterricht in Block- veranstaltungen bis kurz vor seinem Tod im Jahr 1955 durch 34 , ohne jedoch seine Praxis, seine Arbeit in der Continental Dental Society oder seinen Lebensmittelpunkt in London aufzugeben. Hans Türkheim gehörte der ersten Ge- neration akademisch lehrender und forschender Zahnärzte in Deutschland an, die nicht auch ein Studium der Humanmedizin abgeschlossen hatten. Als erster Habilitand für Zahnmedizin in Hamburg, Betreuer einer Generation von Doktoranden und Forscher ist er eine wichtige Person der Zahnmedizin- geschichte. 1936 gelang ihm noch rechtzeitig die Flucht nach England, so dass er nicht nur dem Holocaust ent- kam, sondern auch wieder als Zahn- arzt und Forscher wirken konnte. Als etablierter britischer Zahnarzt hinter- ließ er historische Quellen, aus denen sich Leben und Werk rekonstruieren lassen. Nach dem Krieg entwickelte Türkheim ein ambivalentes Verhältnis zu Deutschland: Vor seinem Besuch in Hamburg 1948 nahm er die britische Staatsbürgerschaft an und schrieb seinen Namen von da an konsequent ohne Umlaut („Turkheim“) 35 . Gleich- zeitig wollte er an seine langjährige Verbindung zur Universität Hamburg anknüpfen und nahm deswegen 1952 die Lehrtätigkeit als Honorarprofessor dort auf. Heute erinnert vor dem neuen Hauptgebäude des Universitäts- klinikums Hamburg-Eppendorf ein Stolperstein an ihn. 36 \ Quelle: Nachlass Türkheim / Hohmann Abb. 2: Ernennungsurkunde für Türkheim zum Honorarprofessor an der Universität Hamburg, Nachlass Hans Türkheim, reproduziert aus Hohmann, 2010, S. 295 DR. MATTHIS KRISCHEL Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf matthis.krischel@hhu.de Foto: privat 24 Hohmann, 2010, 135; 25 Hohmann, 2010, 136–7; 26 Zamet, 2007, 242–245; 27 Hohmann, 2010, 139–141; 28 Hohmann, 2010, 282–285; 29 Hohmann, 2010, 285; 30 Hohmann, 2010, 143; 31 Reisebericht Türkheim, 2003, 188; 32 Türkheim an Dekan Schuchardt, 4.10.1951; 33 Groß, 2018b; 34 Hohmann, 2010, 148–154; 35 Hohmann, 2010, 143–144; 36 http://www.stolpersteine-hamburg.de/ (15.1.2020) 76 | GESELLSCHAFT

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