Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 05
zm 110, Nr. 5, 1.3.2020, (452) Immunabwehrlage, beispielsweise durch Alter, Medikamente, maligne Grunderkrankungen oder chronischen Stress bedingt [Song et al., 2015; Neville et al., 2009; Attal et al., 2015]. Die Diagnosestellung erfolgt in der Regel klinisch, in atypischen Fällen sind laborchemische Nachweise erfor- derlich [Neville et al., 2009; Gilden et al., 2009]. Herpes-simplex-Infektionen, Aphten, Lichen ruber planus oder Pemphigus können ein ähnliches klinisches Er- scheinungsbild aufweisen und müssen differenzialdiagnostisch ausgeschlossen werden [Neville et al., 2009; Francis et al., 2017]. Die Herpes-Zoster-Infektion verläuft in Stadien und kann bei allein oralen Symptomen im Prodromal- stadium schwer diagnostiziert werden. Das Prodromalstadium ist geprägt von viraler Replikation mit begleitender Ganglionitis, was Symptome wie Abge- schlagenheit und neuropathische Schmerzen, ähnlich einem akuten Zahnschmerz, bedingen kann. Dies führt nicht selten zu einer Fehlinter- pretation in der zahnärztlichen Praxis, da die Symptome einer Pulpitis oder apikalen Parodontitis nur vorgetäuscht werden. Diese Phase der Erkrankung kann über Wochen bestehen; jedoch ist auch ein symptomloser Verlauf (Zoster sine herpete) möglich. Dem Innervationsareal zugeordnete Effloreszenzen bis zur Medianebene kennzeichnen das akute Stadium [Neville et al., 2009]. Im trigeminalen Dermatom ist der Nervus ophthalmi- cus am häufigsten betroffen [Song et al., 2015], wobei in unserem Fall alle drei Äste des Nervus trigeminus gleich- zeitig befallen waren. Dunkelrote Ery- theme und papulo-vesikulöse Hautver- änderungen, die unter Schorfbildung abheilen und von neuralgiformen Schmerzen begleitet werden, stellen klassische Symptome dar. Topisch applizierte Anästhetika kön- nen Schmerzlinderung versprechen, sind allerdings nur Mittel der zweiten Wahl nach systemischer Schmerz- mittelgabe. Der Einsatz von immun- modulierenden Glucocorticoiden wird jedoch kontrovers diskutiert [Neville et al., 2009; Uscategui et al., 2008]. Auch Zahnverlust, Kiefernekrosen, Blindheit, Hörstörungen und Facialisparesen sind als weitere Komplikationen des Herpes Zoster im Gesichtsbereich bekannt [Song et al., 2015; Gupta et al., 2015]. Kommt es zu einer bakteriellen Super- infektion der Effloreszenzen, kann eine antibiotische Therapie indiziert sein [Neville et al., 2009], worauf im geschilderten Patientenfall aber ver- zichtet werden konnte. Vom Ramsay- Hunt-Syndrom wird gesprochen, wenn kombiniert Effloreszenzen am äußeren Gehörgang und eine ipsilaterale Facialis- parese auftreten [Neville et al., 2009; Uscategui et al., 2008]. Ein komplizierender und chronischer Verlauf der Erkrankung mit Monate bis Jahre bestehenden neuralgiformen Beschwerden wird meist bei Patienten über 60 Jahren gesehen und kann durch eine frühzeitige Gabe von Viru- statika und ausreichender Analgesie verhindert werden. Entpuppt sich der Verlauf bei älteren Patienten als beson- ders schwer, hat sich das Virustatikum Brivudin bewährt [Yaldiz et al., 2018]. Spätsymptome der Hauteffloreszenzen können Narbenbildung und Pigmen- tierungsstörungen sein, auch wenn es im akuten Stadium zu keinen Haut- nekrosen gekommen ist [Straßburg/ Knolle, 1991]. Ein attenuierter Lebend- impfstoff, empfohlen von der Weltgesundheitsorganisation für Pa- tienten ab dem 50. Lebensjahr, kann die Prävalenz für die Ausbildung eines Herpes Zoster sowie die Gefahr der postherpetischen Neuralgie verringern [Song et al., 2015; Neville et al., 2009; di Pietro et al., 2018; Hales et al., 2014; Kanbayashi et al., 2013; Philip et al., 2011; Feller et al., 2017]. \ FAZIT FÜR DIE PRAXIS \ Ein sich entwickelnder Herpes Zoster muss bei unklarem, starkem Gesichtsschmerz differenzial- diagnostisch in Betracht gezogen werden; im Speziellen sollte auf richtungsweisende, sich entwickelnde Hauteffloreszenzen geachtet werden. \ Patienten mit unklaren Gesichts- schmerzen sollten anamnestisch auch nach Kinderkrankheiten wie Windpocken befragt werden. \ Eine frühzeitige Diagnosestellung mit Einleitung einer zielgerichteten Therapie ist wichtig zur Verbes- serung der Prognose und zur Verhinderung eines neuropathisch chronifizierten Schmerzverlaufs. \ Therapeutisch haben sich Virustatika (wie Nukleosidanaloga Brivudin, Aciclovir) und systemische Analgetika (unter anderem Metamizol) bewährt. \ Gegebenenfalls kann – insbeson- dere bei älteren und immun- geschwächten Patienten – prophy- laktisch eine aktive Immunisierung sinnvoll sein. Abb. 6, links: Rückbildung der Effloreszenzen nach dreitägiger Einnahme des Virustatikums Brivudin Abb. 7, rechts: Patient ein Monat nach Therapiebeginn ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 86 | ZAHNMEDIZIN
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