Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06
zm 110, Nr. 6, 16.3.2020, (559) Fast die gleiche Anzahl an Befragten wollte während ihrer Schwangerschaft sogar ausdrücklich nicht zum Zahnarzt gehen [Odermatt et al., 2019]. Hinzu kommt, dass nur jede vierte Schwangere von ihrem Gynäkologen über einen notwendigen Zahnarztbesuch infor- miert wurde. In Deutschland zeigt sich ein ähnliches Bild. Zwar sind die Gynäkologen über die Mutterschaftsrichtlinien seit 1999 gesetzlich verpflichtet, „im letzten Drittel der Schwangerschaft bedarfs- gerecht über die Mundgesundheit für Mutter und Kind aufzuklären“ und dabei „insbesondere auf den Zusam- menhang zwischen Ernährung und Karies hinzuweisen“ [Mutterschafts- Richtlinien, 2019], aber eine solche Be- ratung findet nur unzureichend statt. Eine Befragung hierzu ergab, dass lediglich 2,5 Prozent von 602 Schwan- geren während der Schwangerschaft Informationen zur Mundgesundheit von ihren Gynäkologen erhalten hatten [Rahman und Günay, 2005]. Der Aus- bau einer interdisziplinären Zusammen- arbeit zwischen den verschiedenen Gesundheitsberufen Gynäkologe, Hebamme, Zahnarzt und Kinderarzt ist somit zwingend erforderlich [Günay et al., 2007; Günay et al., 2007]. WIE DIE SCHWANGERSCHAFT DIE MUNDGESUNDHEIT BEEINFLUSST Erhöhtes Karies- und Erosionsrisiko Die frühere Annahme, dass sich der Zahnschmelz bei Schwangeren er- weicht, weil das Ungeborene Kalzium aus den Zähnen der Mutter „zieht“, um es für seinen eigenen Knochenauf- bau zu verwenden, konnte in Studien widerlegt werden [Laine et al., 1986]. Eine Analyse von menschlichem Den- tin extrahierter Zähne zeigte, dass sich die chemische Zusammensetzung der Zahnhartsubstanz bei Schwangeren und Nichtschwangeren nicht unter- scheidet [Dragiff und Karshan, 1943; Laine, 2002]. Nichtsdestotrotz treten während einer Schwangerschaft Veränderungen ein, die ein erhöhtes Karies- und Erosions- risiko mit sich bringen können. So sin- ken die Speichelpufferkapazität und EVIDENZBASIERTE EMPFEHLUNGEN ZUR KARIESPROPHYLAXE BEI BLEIBENDEN ZÄHNEN Mechanische Verfahren zur Reduzierung des Biofilms Chemische Beeinflussung des Biofilms Prophylaxeprogramme Fluoridierungsmaßnahmen Ernährungslenkung Speichelstimulation durch Kaugummikauen Fissurenversiegelungen Tab. 1: Auszug aus der S2k-Leitlinie „Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen – grundlegende Empfehlungen“, Quelle: Geurtsen et al., 2016 konsentierte Empfehlung Als Basisprophylaxe sollen die Patienten mindestens zweimal täglich mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta ihre Zähne so putzen, dass eine möglichst vollständige Entfernung des Biofilms resultiert. Dabei können je nach Patient unterschiedliche Zahnbürsten zum Einsatz kommen. Lassen sich Speisereste und Biofilm mit alleinigem Zähneputzen nicht ausreichend entfernen, sollen Hilfsmittel zur Approximalraumhygiene (Zahnseide, Interdentalbürsten) zusätzlich verwendet werden. Bei durchbrechenden bleibenden Zähnen oder im freiliegenden Wurzelbereich kann die professionelle Anwendung von CHX-Lacken mit mindestens 1% CHX zur Kariesprävention empfohlen werden. Durch die Kombination verschiedener Prophylaxemaßnahmen kann Karies deutlich reduziert werden. Insbesondere Patienten mit erhöhtem Kariesrisiko sollte die Teilnahme an strukturierten Prophylaxeprogrammen empfohlen werden. Patienten sollen ihre Zähne mit einer fluoridhaltigen Zahnpasta putzen. Daneben soll grundsätzlich fluoridhaltiges Speisesalz im Haushalt verwendet werden. Zusätzlich kann (insbesondere bei kariesaktiven Patienten) die Anwendung von Zahnpasten mit erhöhter Fluoridkonzentration bzw. fluoridhaltiger Lacke, Gele oder Spüllösungen indiziert sein. Die Gesamtmenge der täglichen Zuckeraufnahme und die Anzahl zuckerhaltiger Mahlzeiten (Hauptmahlzeiten und Zwischenmahlzeiten) einschließlich zuckerhaltiger Getränke sollten möglichst gering gehalten werden. Speisen und Getränke ohne freie Zucker sollten bevorzugt werden. Regelmäßiges Kauen von zuckerfreiem Kaugummi kann zur Kariesprophylaxe zusätzlich beitragen und deshalb insbesondere nach den Mahlzeiten empfohlen werden. Im Rahmen eines Prophylaxekonzepts sollen kariesgefährdete Fissuren und Grübchen versiegelt werden. DR. KAREN MEYER-WÜBBOLD Medizinische Hochschule Hannover Klinik für Zahnerhaltung, Parodontologie und Präventive Zahnheilkunde Carl-Neuberg-Str. 1, 30625 Hannover Meyer-Wuebbold.Karen@mh-hannover.de Foto: MHH | 49
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