Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06

zm 110, Nr. 6, 16.3.2020, (561) der Kalzium- sowie Phosphatgehalt im Speichel, wodurch sein Remineralisa- tionspotenzial reduziert wird [Laine, 2002; Salvolini et al., 1998]. Mit fort- schreitender Schwangerschaft kommt es dadurch zu einer Absenkung des Speichel-pH-Werts auf etwa 5,9. Ferner wurde gerade im letzten Drittel einer Schwangerschaft bei den Frauen eine erhöhte Konzentration von Mutans- Streptokokken und Immunglobulin A (IgA) im Speichel nachgewiesen [Laine et al., 1986; Laine, 2002]. Das Zusammen- spiel einer erhöhten Demineralisation (bedingt durch eine erniedrigte Speichel- pufferkapazität und einen verringerten Speichel-pH-Wert) und eines verringer- ten Remineralisierungspotenzials (be- dingt durch einen geringeren Gehalt an Kalzium und Phosphat) mit einem erhöhten Spiegel an Mutans-Strepto- kokken im Speichel kann das Karies- risiko während einer Schwangerschaft erhöhen. Der pH-Wert in der Mundhöhle kann auch durch ein verändertes Ernäh- rungsverhalten in der Schwangerschaft – etwa Heißhunger auf Süßes oder Saures, vermehrte Aufnahme von Zwischenmahlzeiten – und durch eventuell gelegentliches Erbrechen – Emesis gravidarum – gerade im ersten Trimenon zusätzlich sinken, wodurch das Karies- und Erosionsrisiko noch- mals ansteigt. Eine Untersuchung er- gab, dass 60 Prozent der befragten Schwangeren regelmäßig Zwischen- mahlzeiten zu sich nehmen [Pistorius et al., 2005]. Um eine Demineralisation des Zahnschmelzes zu verhindern und eine Remineralisation zu fördern, sollte in der Schwangerschaft eine regel- mäßige zusätzliche Fluoridierung statt- finden [Willershausen-Zönnchen, 2001]. In diesem Zusammenhang sei auf die AWMF-Leitlinie „Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen – grundlegende Empfehlungen“ hingewiesen (Tabelle 1) [Geurtsen et al., 2016]. Erhöhtes Risiko für gingivale und parodontale Erkrankungen Mehrere Studien haben gezeigt, dass schwangere Frauen häufiger an einer Gingivitis leiden als nicht schwangere Frauen, wobei in der Literatur eine Prävalenz zwischen 30 Prozent und 100 Prozent angegeben wird [Laine, 2002]. Als Ursache für eine erhöhte Gingivitis- gefahr wird die hormonelle Umstel- lung während einer Schwangerschaft diskutiert [Laine, 2002]. Mit dem An- stieg von Progesteron wird das Binde- gewebe aufgelockert und stärker durchblutet, wodurch das Zahnfleisch empfindlicher auf bakterielle Beläge reagiert. Als primäre Folge der Plaque entstehen somit schneller Entzündun- gen der Gingiva. Progesteron agiert während der Schwangerschaft als ein natürlicher Immunsuppressor [Stites und Siiteri, 1983], mit dessen Hilfe der Embryo der Abstoßung durch das mütterliche Immunsystem entgeht. Die zelluläre Abwehr wird qualitativ und quantitativ reduziert [Abdoul- Dahab et al., 2016; Raber-Durlacher et al., 1993]. Dadurch sind die Frauen allerdings anfälliger für Entzündungen im Bereich des marginalen Parodon- tiums. Der Anstieg des Östrogen- spiegels stimuliert die Fibroblasten- aktivität und kann die Bildung von Schwellungen und Ödemen der Gin- giva (zum Beispiel Epulis gravidarum) begünstigen [Schröder, 1997]. Zudem wird das Wachstum Parodon- titis-fördernder Bakterien durch einen erhöhten Spiegel an Sexualsteroiden im Blut und Speichel stimuliert. Es konnte beobachtet werden, dass Prevotella-Arten Sexualsteroide meta- bolisieren und als Wachstumsfaktoren nutzen können [Kandilakis und Lang, 2001; Kornmann und Loesche, 1982]. So sind Prevotella intermedia und Prevotella melaninogenica in der Lage, Vitamin K – einen wesentlichen Wachstumsfaktor – durch Östradiol und Progesteron zu ersetzen [Kandila- kis und Lang, 2001; Kornmann und Loesche, 1982]. Die Veränderungen erschweren die häusliche Mundhygiene und schaffen Nischen für bakterielle Beläge. Bei einem Fortschreiten der Gingivitis kann sich die Entzündung auf das Parodontium ausbreiten. Eine bereits bestehende Parodontitis kann in der Schwangerschaft verstärkt werden. Kürzlich wurden von der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie (DGParo) und der Deutschen Gesell- schaft für Zahn-, Mund- und Kiefer- heilkunde (DGZMK) Empfehlungen zum häuslichen und chemischen Biofilmmanagement veröffentlicht [Auschill et al., 2018; Graetz et al., 2018], um der Entstehung einer Gingi- vitis vorzubeugen (Tabellen 2–4). Erhöhtes Risiko für Diabetes Während einer Schwangerschaft kön- nen Frauen einen Diabetes entwickeln – bei etwa 15 Prozent aller Frauen welt- weit kommt es in der Zeit der Schwan- gerschaft zu einem „Schwangerschafts- diabetes“ (Gestationsdiabetes) [Abariga et al., 2016; IDF, 2011]. Beim Gestations- diabetes handelt es sich um eine Kohlenhydratstoffwechselstörung, die erstmalig während der Schwanger- schaft auftritt. Als Ursachen werden verschiedene Schwangerschaftshormone, die zu einer Erhöhung des Blutzucker- spiegels führen (zum Beispiel Östrogen) und andererseits eine nicht optimale Ernährung angegeben. Ein Gestationsdiabetes kann schwer- wiegende Folgen für Mutter und Kind haben, wie eine Makrosomie des Kindes und eine Frühgeburt [Abariga et al., 2016; Esteves Lima et al., 2016; Kumar et al., 2018]. In der Literatur wird der mögliche Zusammenhang PROF. DR. ELMAR HELLWIG Universitätsklinikum Freiburg Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie Hugstetterstr. 55, 79106 Freiburg Foto: privat DR. PRISKA FISCHER Universitätsklinikum Freiburg Klinik für Zahnerhaltungskunde und Parodontologie, Funktionsbereich Kinderzahnheilkunde Hugstetterstr. 55, 79106 Freiburg Foto: privat | 51

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