Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06

zm 110, Nr. 6, 16.3.2020, (600) ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Karl Pieper – vom NS-Führer zum „Mitläufer“ Dominik Groß Karl Pieper war Nationalsozialist der ersten Stunde: 1923 hat er am „Hitlerputsch“ teilgenommen, 1933 erhielt er den sogenannten Blutorden für alte Kämpfer. Doch obwohl er aufgrund seiner Beziehungen zur NSDAP bis zum Reichsdozentenführer befördert wurde, galt er nach dem Krieg als „Mitläufer“ – und damit als „rehabilitiert“. K arl Pieper wurde am 10. Juni 1886 als Sohn eines Kaufmanns in Schwedt an der Oder gebo- ren. 1–6 Von 1906 bis 1909 studierte er Zahnheilkunde an der Universität München. Anschließend trat er dort eine Assistentenstelle in der von Fritz Meder geleiteten prothetischen Abtei- lung des Zahnärztlichen Universitäts- instituts an. 1911 wurde er zum Ober- arzt befördert – eine Position, die er bis 1929 innehatte. Zusätzlich zeichnete er ab 1919 für den ebenfalls Meder unterstellten neu gegründeten Bereich der zahnärztlichen Orthopädie ver- antwortlich. 1921, zwölf Jahre nach der Aufnahme seiner Tätigkeit am Münchner Institut, promovierte Pieper zum Dr. med. dent. 1926 scheiterte Meder mit dem Antrag, die zahnärztliche Orthopädie in eine eigenständige Abteilung unter der Leitung des nicht habilitierten Pieper zu überführen. Auch das von Meder im Folgejahr gestellte Gesuch an die Fakultät, Pieper zur Habilitation zuzu- lassen, wurde abgelehnt. Die Gründe hierfür waren, wie Hundsdorfer (1996) feststellte, offensichtlich: „Einmal hatte Pieper zu diesem Zeitpunkt außer sei- ner Dissertation keine weitere wissen- schaftliche Publikation vorzuweisen, zum anderen ließen ihn seine Aktivitä- ten im Rahmen der NSDAP in weiten Kreisen der Fakultät unakzeptabel erscheinen.“ 3 Ungeachtet der beiden abschlägigen Bescheide unternahm Meder 1929 einen weiteren Anlauf: Nun stellte er bei der Fakultät den Antrag, Pieper den „einfachen Titel Professor, wie er auch verliehen wird an Maler, Architekten“ zuzusprechen. Und der dritte Versuch war erfolgreich, Pieper wurde immerhin Titularprofes- sor. 3 Mit diesem Titel ließ er sich in freier Praxis nieder, fungierte aber zugleich weiterhin als – ehrenamtli- cher, das heißt unbesoldeter – Leiter der orthodontischen Abteilung. 3 Erst nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten nahm Piepers Karriere Fahrt auf 5-8 : Bereits 1934 wurde er in München zum „planmäßigen“ außerordentlichen Professor (Extra- ordinarius) und Vorstand der ortho- dontischen Abteilung ernannt. 1937 fiel dann die Entscheidung, ihn zum „persönlichen“ – nicht planmäßigen – ordentlichen Professor (Ordinarius) zu berufen. Pieper erhielt eine von Hitler persönlich unterzeichnete Ernennungs- urkunde. 1938 wurde er nach dem Ausscheiden von Karl Hauenstein zu- sätzlich Vorsteher der konservierenden Abteilung der Universitätszahnklinik München. 1941 erlangte Pieper dann einen Ruf nach Berlin: Er sollte als Nachfolger von Hermann Schröder das Direktorat des Zahnärztlichen Instituts der Charité übernehmen – Schröder war einer der anerkanntesten und wirkmächtigsten zahnärztlichen Ordi- narien seiner Zeit, und das Berliner Institut galt in Deutschland als die erste Adresse in der wissenschaftlichen Zahnheilkunde. 6,9 ALS DIE NAZIS AN DIE MACHT KOMMEN, GEHT ES NACH OBEN Pieper zog jedoch den Standort München vor: Hier hatte er Bleibeverhandlungen aufgenommen mit dem Ziel, eine dem Berliner Angebot äquivalente Position zu erreichen. Mit anderen Worten: Er bemühte sich um ein „planmäßiges“ Ordinariat. Besagte Forderung konnte allerdings trotz mehrerer Fürsprecher in den involvierten Ministerien – darun- ter das Bayerische Kulturministerium und Max de Crinis, Ministerialreferent für medizinische Fachfragen im Amt Wissenschaft des Reichsministeriums Foto: Besitz der Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, Klinikum der Universität München (Prof. Reinhard Hickel) und Archiv Benz, München (Prof. Christoph Benz). Abdruck mit freundlicher Genehmigung der vorgenannten Personen. Karl Pieper (1886–1951) 1 Friederich, 1968, 98; 2 Egerer-Röhricht, 1971, 155–157; 3 Hundsdorfer, 1996; 4 Benz/Hundsdorfer, 1996;86:76–78; 5 Groß/Westemeier/Schmidt, 2018a, 15–37, hier 20–22; 6 Groß, 2020a; 7 Guggenbichler, 1988, 99 u. 275; 8 Klee, 2003, 461f.; 9 Hellenthal, 1978 90 | GESELLSCHAFT

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