Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06

zm 110, Nr. 6, 16.3.2020, (601) für Wissenschaft, Erziehung und Volks- bildung – bis Kriegsende nicht reali- siert werden. 3 Piepers Rolle im „Dritten Reich“ ist – im Unterschied zu manch anderen Biografien zeitgenössischer zahnärzt- licher Hochschullehrer 10-12 – leicht herauszuarbeiten und nicht zuletzt dank einer guten Quellenlage 13 klar zu umreißen: Wie oben angedeutet, muss Pieper als früher und überzeugter Nationalsozialist gelten. Bereits 1922 war er als einer der Ersten NSDAP- Mitglied geworden (Partei-Nr. 453), und im Folgejahr hatte er am „Hitler- putsch“ teilgenommen. Damit gehörte er zu den Parteimitgliedern „der ersten Stunde“. 14 Ab 1933 konnte er dann seine Partei- karriere und die Liste seiner Ehrungen erheblich ausbauen: In jenem Jahr erhielt er sowohl den sogenannten Blutorden – eine von Hitler verliehene Auszeichnung für „alte Kämpfer“ – als auch das goldene Ehrenabzeichen. 3,7,8 Eine Vielzahl von parteinahen Ämtern belegt, wie gut Pieper, der auch als Zahnarzt von Heinrich Himmler zum Einsatz kam, politisch vernetzt war: Er fungierte als Verbindungsmann des Reichsverbands Deutscher Zahnärzte zur NSDAP. 1934 wurde er Mitglied des vierköpfigen „Kleinen Führerrats“, der Ernst Stuck, dem nationalsozialistischen „Reichszahnärzteführer“, zu Beratungs- zwecken „zur Seite gegeben“ worden war. 15 Er wurde SA-Sanitätsobersturm- führer, Hochschulreferent für Zahn- heilkunde im Stab Stellvertreter des Führers, Reichsamtsleiter der NSDAP. Seit 1938 fungierte er als Sachbearbeiter für Zahnmedizin in der Reichsleitung des NS-Ärztebundes, 1939 erhielt er das Ehrenzeichen des Deutschen Roten Kreuzes erster Klasse und 1944 wurde er in den Wissenschaftlichen Beirat des Bevollmächtigten für das Gesundheits- wesen Karl Brandt berufen. 3-8 Von be- sonderer Bedeutung war aber fraglos ein Amt, das Pieper bereits 1936 über- tragen wurde: In jenem Jahr wurde er – als Nachfolger des verstorbenen Frankfurter Professors Otto Loos 16 – zum „Referenten für Zahnmedizin in der Reichsdozentenführung“ bestimmt. Damit rückte Pieper in eine hochschul- politisch höchst einflussreiche Position ein: Die Aufgabe der „Reichsdozenten- führer“ bestand in der „Säuberung“ der Hochschulen in den jeweiligen Fachdisziplinen. NICHT GENEHME KOLLEGEN SCHWÄRZTE ER AN Ab diesem Zeitpunkt oblag es Pieper, NS-politischen Einfluss auf die Beru- fungspolitik in der Zahnheilkunde zu nehmen und die Karriere nicht geneh- mer zahnärztlicher Hochschullehrer zu hintertreiben – eine Möglichkeit, von der er regelmäßig Gebrauch machte und die auch manches NSDAP-Mit- glied einschloss. So schrieb er mehrfach abwertende Stellungnahmen über seinen Bonner Kollegen und Parteigenossen Wilhelm Balters 17 , in denen er darauf verwies, dass dieser dem jüdischen Kollegen Alfred Kantorowicz 18 nahegestanden habe („Seine Veröffentlichungen sind z.T. in Gemeinschaft mit seinem Lehrer Kantorowicz entstanden und verraten stark dessen Einfluss. Die Arbeiten sind casuistisch und linguis- tisch gewandt, wie B. auch als Redner gute Begabung zeigt, lassen aber vielfach ein tieferes Eingehen in die eigentlichen Probleme vermissen“). Zudem bezeichnete er Balters als „cha- rakterlich schwer belastete Person“. 19 Ähnlich abwertend äußerte er sich über Wolfgang Rosenthal, der zunächst ebenfalls Parteigenosse war, aber in Ungnade fiel, als er unter Verdacht geriet, ein „Viertel-Jude“ zu sein. 5,20 Andererseits war er ein Fürsprecher von Carl-Heinz Fischer 21 , indem er sich offenbar gegen das Votum des DGZMK-Präsidenten Hermann Euler für die Beförderung Fischers zum außerplanmäßigen Professor stark machte, wie Fischer selbst in seinen Er- innerungen ausführte. 22 Auch Fischer war Parteimitglied – ebenso wie der fachlich wenig profilierte Hochschul- lehrer Fritz Faber, den Pieper bereits 1933 für das vakante Ordinariat in Bonn empfahl. 23,24 Allerdings kam der glühende Nationalsozialist Faber auf- grund der heftigen Gegenwehr der Bonner Verantwortlichen erst ein Jahr später in Freiburg zum Zug. 24 Derartige Einflussnahmen Piepers auf Beförde- rungen und Berufungen an den unter- schiedlichen Universitäten waren an der Tagesordnung. 25,26 Nach eigenem Verständnis war Pieper „nicht wie Prof. Loos dem Reichszahnärzteführer Dr. Stuck unterstellt“, sondern glaubte sein Amt als zahnärztlicher Reichsdozen- tenführer eigenverantwortlich und unabhängig ausüben zu können. 27 Das Verhältnis zu seinen Münchner Kollegen war durchaus unterschied- lich: Er war befreundet mit Erwin Reichenbach, der Piepers 25-jährige Tätigkeit am Münchner Zahnärzt- lichen Institut im „Dritten Reich“ in einer Laudatio ausgiebig würdigte. 28 Demgegenüber war er mit seinem Kol- legen Peter-Paul Kranz – wie Reichen- bach und Pieper NSDAP-Mitglied – verfeindet. Pieper beschuldigte Kranz einer unkollegialen, parteiwidrigen und daher antinationalsozialistischen Verhaltensweise. Hintergrund der Fehde war der persönliche Kampf beider Professoren um die Funktion des geschäftsführenden Direktors des Münchner Zahnärztlichen Instituts und um ein planmäßiges Ordinariat. 29,30 PROF. DR. DR. DR. DOMINIK GROß Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin der RWTH Aachen Klinisches Ethik-Komitee des Universitätsklinikums Aachen MTI 2, Wendlingweg 2, 52074 Aachen dgross@ukaachen.de Foto: privat 10 Schwanke/Krischel/Gross, 2016;51:2–39; 11 Groß/Westemeier/Schmidt/Halling/Krischel, 2018; 12 Groß, 2019, 157–174; 13 BA Berlin, R 9361- VIII/ 1560054; R 9354/232; R 9361-VI/2265; R 4901/25213 – AZ W I p; R 9361-I/29869 – AZ D-46/1938; R 9361-III/568992; R 9361-II/809660; R 4901/25213; 14 Heidel, 2007;15(3):198–219, hier 207; 15 Zahnarztl Mitt 1934,25:509; 16 Groß, 2020b;109(1):im Druck; 17 Kalb, 1988; 18 Groß, 2018a;107(7):102–103; 19 BA Berlin, R 9354/ 1939; 20 Groß, 2018b;107(10):50–51; 21 Groß/Schmidt/Schwanke, 2016, 129–171; 22 Fischer, unveröffentlichtes Typoskript [1985], hier 217; 23 Höpfner, 1999, 326; 24 Groß, 2020c;109:im Druck; 25 Groß/Westemeier/Schmidt, 2018b, 285–321; 26 Forsbach, 2006; 27 Fischer, 1983, hier 11; 28 Reichenbach, 1934;34(23):929; 29 Hobbeling, 1996, hier 7; 30 Locher, 1998, hier 66ff. | 91

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