Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06
zm 110, Nr. 6, 16.3.2020, (602) Piepers Vorwurf blieb jedoch im Fall von Kranz ohne Konsequenzen – tatsächlich waren derartige parteiintern ausgetra- gene Querelen im polykratisch organi- sierten NS-System keine Seltenheit und führten nicht immer zu Sanktionen. SEINE PUBLIKATIONEN? OHNE RELEVANZ UND ANSPRUCH Auch wenn Piepers Agitationen nicht immer erfolgreich waren: Er war allein aufgrund seiner Beziehungen zur Partei zum ordentlichen Professor ernannt worden und gehörte somit zu den per- sönlichen Nutznießern des politischen Systems. Er war weder regulär habilitiert noch durch einschlägige Publikations- leistungen ausgewiesen. 1921 promo- vierte er 35-jährig mit einer Kasuistik – namentlich mit einem „Fall von aus- gedehntem Schleimhautverlust der Mundhöhle infolge Kieferschusses“ 31 . Einen wirklichen Forschungsschwer- punkt etablierte er weder vor noch nach der Promotion – dementsprechend spielte er in der DGZMK, der wissen- schaftlichen Fachgesellschaft, keinerlei Rolle. 32 Die wenigen nachweislichen Publikationen erfüllten allesamt kaum die Anforderungen wissenschaftlicher Arbeiten. 33-35 Beachtung fanden noch am ehesten seine Initiativen zur „nationalsozialistischen Umgestal- tung“ des zahnärztlichen Studiums – vor diesem Hintergrund nannte ihn Falck in einer Laudatio 1936 wohl- meinend einen „Vorkämpfer national- sozialistischer Ideen“ 36 . Wie ging es mit Pieper nach dem Zusammenbruch des „Dritten Reiches“ weiter? 1–6 Im Mai 1945 wurde er von amerikanischen Truppen verhaftet. Im Juni 1947 wurde er nach einem Herz- infarkt wegen Haftunfähigkeit aus dem Internierungslager Moosburg entlassen. Bereits am 15. April 1946 war Pieper auf Weisung der Militärregierung offi- ziell seines Amtes als ordentlicher Pro- fessor enthoben worden. Es folgte ein langwieriges Entnazifizierungsverfahren, in dem er schlussendlich am 17. März 1949 als „Mitläufer“ (Gruppe IV) ein- gestuft und damit weitgehend „rehabi- litiert“ wurde. Der Fall Pieper zeigt bei- spielhaft, dass sich die Spruchgerichte mit den Jahren immer mehr zu „Mit- läuferfabriken“ 37 wandelten – selbst prominente Vertreter und nachweis- liche Stützen des NS-Systems wie Pieper profitierten von dieser Entwicklung. 38 Nutzen konnte Pieper das günstige Er- gebnis des Verfahrens allerdings nicht mehr: Er starb bereits am 22. Januar 1951 im Alter von 64 Jahren an den Folgen eines Schlaganfalls. \ 31 Pieper, 1921; 32 Groß/Schäfer, 2009; 33 Pieper, 1924, Nr. 213:77; 34 Pieper, 1939;6(11):687–693; 35 Pieper,1943;34:137f.; 36 Falck, 1936;27:518f.; 37 Niethammer, 1982; 38 Groß, 2018c;73(3):164–178 ZM-SERIE: TÄTER UND VERFOLGTE IM „DRITTEN REICH“ Benno Elk – ausgewiesen aus Lothringen, Zahnarzt in Frankfurt, Flucht in die USA Thorsten Halling, Matthis Krischel Nach der Inhaftierung in Buchenwald floh Benno Elk 1938 aus Deutschland. Sein Lebensweg verdeutlicht eine stark verankerte nationale Identität der deutschen Juden - nach dem Ersten Weltkrieg hatte er aus seiner Heimatstadt in Lothringen wegziehen müssen, als diese französisch wurde -ebenso wie die insbesondere in den Freien Berufen ver- breiteten Strategien der ständigen Anpassung an immer bedrohlichere Lebensumstände. D as Jüdische Adressbuch Frank- furt, in der zweiten Auflage von 1935, verzeichnete 45 Zahnärzte und 10 Dentisten. 1 Einer von ihnen war Benjamin (Benno) Elk, der eine zahnärztliche Praxis am Tiergarten 2 betrieb (Abbildung 1). Insgesamt praktizierten zu diesem Zeitpunkt 254 Zahnärzte und 218 Dentisten in Frankfurt. 2 Gemäß der nationalsozialistischen Rassezuschreibung lag damit der Anteil jüdischer Zahnärzte bei knapp 18 Pro- zent und damit deutlich höher als im reichsweiten Durchschnitt (circa 10 Prozent) 3 , aber gleichzeitig deutlich unter dem Prozentsatz von Berlin 4 , ob- wohl Frankfurt noch 1933 mit einem jüdischen Anteil von 4,7 Prozent an der Gesamtbevölkerung sogar Berlin mit einem Anteil von 3,8 Prozent über- troffen hatte. 5 Im Vorwort zur 18. Aus- gabe des Deutschen Zahnärzte-Buches, das als Grundlage zur systematischen Erfassung der verfolgten deutschen Zahnärzte dient und dessen langjähriger Herausgeber Hans Egon Bejach eben- falls verdrängt wurde, betonten die neuen Herausgeber: „Seit dem Erschei- nen der 17. Ausgabe des Deutschen 1 Fischer, 1935, S. 181, 183; 2 Deutsches Zahnärzte-Buch 1935, S. 113; 3 Groß/Krischel, 2020; 4 Köhn, 1994; 5 Die jüdische Bevölkerung im Deutschen Reich 1933–1945, 2006 ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 92 | GESELLSCHAFT
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