Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06
zm 110, Nr. 6, 16.3.2020, (603) Zahnärzte Buches Mai 1932, sind welt- bewegende Ereignisse eingetreten, die bei der engen Verbundenheit der Heilberufe mit dem Staat sich auch in stärkstem Maße bei der Zahnärzte- schaft ausgewirkt hat.“ Im Forschungs- projekt zur Verfolgung jüdischer Zahn- ärzte und Dentisten konnten bislang 78 Personen nachgewiesen werden, die im Zeitraum von 1933–1941 von Frankfurt aus in die Emigration gingen oder von hier aus deportiert wurden. Benno Elk, bereits 53 Jahre alt und wirtschaftlich arriviert, blieb trotz Aus- grenzung und beruflicher Existenznot bis zum Novemberprogrom 1938 in Deutschland. Gehörte er also zu der Mehrheit deutscher Juden, die lange, in vielen Fällen zu lange, hofften, dass der nationalsozialistische Terror nur eine weitere Etappe in der langen Geschichte der Judenverfolgung in Deutschland ist, die wiederum durch eine Phase größerer Toleranz und Akzeptanz ab- gelöst wird? Auch die Mehrzahl der frühen Emigranten, die in den ersten Monaten nach der Machtübernahme das Deutsche Reich teilweise überstürzt verließen, gingen in der Hoffnung auf eine baldige Rückkehr. 6 DER ERSTE WELTKRIEG BINDET ELK AN DIE NATION Elk wurde am 14. Juli 1879 als erstes von acht Kindern in Memel (heute Litauen) geboren. Aufgrund von zu- nehmenden antisemitischen Angriffen zog die Familie 1881 nach Frankfurt am Main, wo der Vater Julius Elk neben seiner Lehrtätigkeit bei einer Wohl- tätigkeitsorganisation arbeitete und auch das sogenannte Volapük, einen Vorläufer von Esperanto, förderte. Im Nachlass der Familien Elk-Zernik ist ein unveröffentlichtes Manuskript von Julius Elk überliefert, in dem er das geistliche und säkulare Leben der Juden im russischen Polen am Ende des neunzehnten Jahrhunderts be- schreibt. 7 Vielleicht beantragte er gerade deshalb die deutsche Staatsbürgerschaft für sich und seine Familie. Nach Beendigung der Realschule er- lernte Benno zwischen 1898 und 1900 bei dem Frankfurter Zahnarzt Oskar Wendler, einem „American Dentist“, zunächst „die technische und opera- tive Zahnkunst“. Im Arbeitszeugnis schwärmte Wendler: „Er hat sich mit ausserordentlichem Eifer und Fleiss ernst seiner Kunst gewidmet und es durch seine Geschicklichkeit vermocht, die ihm obgelegenen & anvertrauten technischen sowie operativen Arbeiten zu meiner vollen Zufriedenheit auszu- führen.“ 8 Parallel zu dieser praktischen Ausbildung erlangte Elk auf einem Realgymnasium die Primarreife, die in dieser Phase der immer noch nicht voll- endeten Akademisierung des Zahnarzt- berufs noch zur Aufnahme eines zahn- medizinischem Studiums berechtigte. 9 An der Universität Marburg studierte er vier Semester Zahnheilkunde und bestand im Juli 1902 die zahnärztliche Staats- prüfung mit dem Prädikat „sehr gut“. Nach mehrjähriger Assistententätigkeit ließ Elk sich 1905 im lothringischen Diedenhofen in eigener Praxis nieder. 10 1906 starb sein Vater, was ihn dazu zwang, seine Mutter und seine jüngeren Geschwister zu unterstützen. Noch ein- schneidender war aber die Erfahrung der Vertreibung aus Lothringen im Jahr 1919. Elk hatte während des Ersten Weltkriegs die zahnärztliche Abteilung des Festungslazaretts in Diedenhofen geleitet und war dafür mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet worden. Noch während des Krieges heiratete Elk die aus Elberfeld stammende Aenne Ullmann. 11 Ihre gemeinsame Tochter Charlotte wurde im April 1919 geboren. Als nach dem Krieg aus Diedenhofen das französische Thionville wurde, mussten die Elks ihren Heimatort verlassen und zogen nach Frankfurt am Main. Diese Verlusterfahrung war bei vielen jüdischen Frontkämpfern mit einer starken nationalen Identitätsbildung verbunden, die das spätere Festhalten an der neugewonnenen Heimat be- greiflicher werden lässt. 12 Nur wenige Jahrzehnte nach intensiver Verfolgung und nach dem Kampf um Anerken- nung und Gleichberechtigung, die das Ende des 19. Jahrhunderts kennzeich- neten, waren jüdische Männer und Frauen auf der ganzen Welt in einen Konflikt von beispielloser Gewalt und Zerstörung hineingezogen worden und über Staaten verstreute Familien fanden sich in gegnerischen Armeen wieder. 13 Diese, auch in der individuellen Bio- grafie Elks zu findende Vielfalt von neuartigen sozialen und politischen Phänomenen – die Flucht vor den Po- gromen in der alten Heimat und die Einbürgerung der Familie lagen erst wenige Jahrzehnte zurück – haben den Ersten Weltkrieg zu einem wichtigen Wendepunkt in der jüdischen Erfahrung des 20. Jahrhunderts gemacht. 14 Zurück in Frankfurt hörte Elk an der Universität Vorlesungen und wurde mit einer Arbeit „Ueber maligne Ober- kiefertumoren“ in der chirurgischen Klinik promoviert. 15 Überliefert ist auch ein von seinen studentischen Kamera- den verfasstes Tischlied zur Melodie „Gaudeamus igitur“ anlässlich seines 50. Geburtstags im Jahr 1929. 16 Wie fragil die akademische Emanzipation der deutschen Juden war, zeigte sich auch an der Universität Frankfurt un- mittelbar nach dem 30. Januar 1933. 17 Abb. 1: Praxis von Benno Elk, Am Tiergarten 2, Frankfurt/a.M., Foto: Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Frankfurt, ohne Signatur DR. MATTHIS KRISCHEL Institut für Geschichte, Theorie und Ethik der Medizin Centre for Health and Society, Medizinische Fakultät Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf Moorenstr. 5, 40225 Düsseldorf matthis.krischel@hhu.de Foto: privat 6 Jünger, 2016; 7 Leo Baeck Institute AR 10835, Elk-Zernik Family Collection, Box 1 Folder 1; 8 Zeugnis, in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945; 9 Groß, 2019, S. 43–52; 10 Lebenslauf, in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945; 11 Gedruckte Festschrift zur Hochzeit von Aenne Ullmann und Benno Elk, in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945; 12 Rozenblit/Karp, 2017; 13 Madigan/Reuveni, 2019; 14 Crouthamel/Geheran/Grady/Köhne, 2019; 15 Leo Baeck Institute AR 10835, Elk-Zernik Family Collection, Box 1 Folder 8; 16 Tischlied, in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945; 17 Epple/Fried/Gross/Gudian, 2016 | 93
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