Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 06
zm 110, Nr. 6, 16.3.2020, (604) Aufgrund der politischen Radikalisie- rung ab 1933 beschlossen Benno und Aenne Elk, ihre Tochter Charlotte in der Schweiz auf ein Internat zu schicken. Nach ihrem Schulabschluss 1936 be- gann sie eine Ausbildung am Roth- schild-Krankenhaus als medizinische Laborantin und Röntgentechnikerin. Im Jahr 1938 fand sie eine Stelle in einem Sanatorium in Bad Neuenahr und verlobte sich mit ihrem Kollegen Hans Ansbach. Charlotte Elk, später Elk-Zernik, verarbeitete ihre Erlebnisse in den1970er-Jahren in einer Auto- biografie und gab zahlreiche Lesungen als Zeitzeugin in Deutschland. 18 Während der Reichspogromnacht wurde Benno Elk verhaftet und nach Buchenwald deportiert. Um seine Freilassung zu erreichen, plante die Familie, nach Uruguay auszuwandern, und hatte auch schon die entsprechen- den Visa erhalten. Drei Tage vor der ge- planten Abreise schloss Uruguay aber seine Grenzen, so dass die Elks zu Freunden nach Antwerpen in Belgien flohen. 19 Im Zusammenhang des Rechtsstreits mit dem damaligen Käufer seines Hauses erinnerte sich Elk an die dramatischen Umstände der Flucht: „Der Hausverkauf erfolgte, während ich im Konzentrationslager Buchen- wald meinen unfreiwilligen Aufenthalt zubrachte, durch Zwang auf meine Frau. Entlassen aus Buchenwald wurde ich aufgrund einer in die Wege ge- leiteten Auswanderung nach Uruguay sowie als Besitzer des Eisernen Kreuzes II. Klasse an schwarzweissen Bande.“ Elk fährt fort: „Ich selbst kann Belege nicht beibringen, da wir – meine Frau, ich und meine Tochter – am 23. Dezember 1938 Deutschland legal verliessen, aber illegal nach Belgien auswanderten, weil in letzter Stunde Uruguay seine Grenzen geschlossen hatte und ich auf Grund einer Einwan- derungs-Möglichkeit nach Uruguay entlassen worden war, ansonsten ich am 31. Dezember 1938 wieder nach Buchenwald zurückgemusst hätte. Mit 10 Mark pro Person und den notwen- digsten Kleidungsstücken verliessen wir Frankfurt, nur beseelt mit dem Mut und der Hoffnung, unser Leben zu retten.“ 20 Da Charlotte in Thionville geboren war, konnte sie leichter in die Vereinigten Staaten einwandern als ihre Eltern. Mithilfe eines entfernten Cousins in New Jersey verließ sie am 26. Septem- ber 1939 Europa auf der S.S. Pennland. Ihr Vater schrieb an sie: „Liebes, gutes Lottchen! Du wirst inzwischen wissen, dass wir nicht nach Lissabon gekommen sind, aber wir versuchen, nun irgend- wo hinzukommen, wo ein Konsulat arbeitet. Vielleicht wird’s Marseille, dann hörst du sofort von uns, wenn nicht, kommt nur Paris in Frage, dann werden wir nur sehr schwer voneinander hören. Mach dir keine Sorge um uns, wir werdens s.G.w. schaffen und so wird’s uns doch gelingen, dass wir wieder zueinander kommen.“ 21 ER WÄHNTE SICH VOR DEM KZ SICHER Im Mai 1940 wurde Belgien überfallen, und Charlotte verlor den Kontakt zu ihren Eltern, bis sie im Dezember aus Spanien telegrafierten. Benno und Aenne erreichten schließlich im Mai 1941 über Kuba New York. Im Dezember 1941 erhielt Charlotte die Nachricht, dass ihr Verlobter Hans Ansbach ins besetzte Polen deportiert und getötet worden war. Im amerikanischen Exil war Benno Elk nicht mehr als Zahnarzt tätig. In seiner Entschädigungsakte gab er an, nun als Schokoladenverkäufer zu arbeiten. 22 Das Angebot der Stadt Frankfurt, ihn bei der Neueinrichtung einer Zahnarzt- praxis zu unterstützten lehnte Elk aus Altersgründen ab – er war zum Zeit- punkt des Kriegsendes 66 Jahre alt. 23 Er verstarb 1959 in New York. Benno Elk, seiner Frau und seiner Tochter war die Emigration in die USA letztendlich gelungen. Im Deutschen Exilarchiv in der Deutschen National- bibliothek in Frankfurt erinnern in der aktuellen Dauerausstellung eindrück- liche Dokumente wie die Reisepässe (Abbildung 2) mit ihren vielen Visa an die zweijährige Flucht durch Europa. Im Holocaust ermordet wurde allerdings Elks engste Familie, seine Mutter Hanna, mindestens drei seiner sieben Geschwis- ter, Rosa, Rudolf und Salo Elk, sowie die Geschwister seiner Frau und deren Familien. Sie gehörten zu den über 12.000 Frankfurter Juden, die mit großen Deportationsaktionen ab 1941 in den Vernichtungslagern den Tod fanden 24 und denen seit 1996 an der Gedenkstätte Börneplatz gedacht wird. 25 Charlotte Zernik-Elk legte 1978 in Yad Vashem insgesamt acht Gedenkblätter für ihre Großmutter, ihre Tanten, Onkel, zwei Cousinen und einen Cousin an. 26 Nur Benno Elks Bruder Max, Rabbiner in München, war bereits 1934 nach Paläs- tina ausgewandert. 1950 formulierte Elk in einem Brief seine Bewegründe, nicht frühzeitig emigriert zu sein: „Ich war so sehr der festen Ueberzeugung, mir als deutschem Staatsbürger, als Kriegsteil- nehmer und aus Elsass-Lothringen Ausgewiesener könne nichts passieren, dass ich erst am 11. Nov. 1938 in das Konzentrationslager Buchenwald hatte abgeführt werden müssen, um eines anderen belehrt zu werden.“ Elks Lebensweg verdeutlicht somit die nicht zuletzt unter dem Eindruck der Kriegserfahrungen des Ersten Welt- kriegs stark verankerte nationale Iden- tität der deutschen Juden ebenso wie die insbesondere in den freien Berufen verbreiteten Strategien der ständigen Anpassung an immer bedrohlichere Lebensumstände in der Zeit des Nationalsozialismus. 27 \ Abb. 2: Benno Elks Reisepass aus dem Jahr 1938, Foto: Deutsches Exilarchiv 1933–1945 der Deutschen Nationalbibliothek, Frankfurt, ohne Signatur 18 Elk-Zernik, 1977; 19 Fremdenpass in Antwerpen, in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945; 20 Schreiben von Benjamin Elk an Dr. Paul Muno, in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945; 21 Schreiben an Charlotte Elk, in: Deutsches Exilarchiv 1933–1945; 22 HHStAW Bestand 518 Nr. 2136, Entschädigungsakte; 23 Leo Baeck Institute AR 10835, Elk-Zernik Family Collection, Box 1 Folder 13; 24 Backhaus/Drummer/Zwilling/Gaines, 2004.; 25 Gedenkstätte Börneplatz; https://www.juedischesmuseum.de/besuchen/gedenkstaette-boerneplatz-frankfurt (Zugriff 20.02.2020); 26 Yad Vashem – Pages of Testimony Names Memorial Collection; 27 Vgl. u.a. Hahn/Schwoch, 2009 94 | GESELLSCHAFT
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