Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07

zm 110, Nr. 7, 1.4.2020, (652) AKTIV GEGEN DIE CORONA-KRISE GEDANKEN AUS DER PRAXIS Zur Corona-Situation Letzte Woche habe ich beim Gesundheitsamt Niedersachsen nachgefragt, ob es nicht sinnvoll wäre, die nicht-nötigen zahn- ärztlichen Behandlungen einzustellen. Es passt nicht zusammen, die Schulen zu schließen und die Praxen für Nicht-ernsthaft- Erkrankte offen zu halten. Noch habe ich die versprochene Antwort nicht erhalten, aber ständig denke ich darüber nach – und ich persönlich habe den Eindruck, dass, gerade in Hinblick auf die exponentielle Verbreitung des Virus schnelles, nicht nur konsequentes, sondern auch rigoroses und durchdachtes Handeln vonnöten ist. Haben wir aus den Erfahrungen der anderen Länder denn gar nichts gelernt? Ja, die Universitäten, Schulen, Kindergärten und Freizeitaktivitäten haben seit Montag (16. März) geschlossen – warum nicht mit sofortiger Wirkung nach dem Beschluss? Und warum haben die Gesundheitsämter (zumindest in Osterholz-Scharmbeck und Hannover) keine 24/7-Telefonhotline, sondern nur Bandansagen, die auf die Geschäftszeiten hinweisen? Ich möchte umsichtig sein dürfen. Ich möchte das unnötige „in die Praxis holen“ von Menschen vermeiden, möchte – auch wenn die Zahnkontrolle mit Sicherheit die unproblematischste Behandlung ist – unsere ohnehin schon nur rationiert bestellbare, aber schon lange nicht mehr lieferbare kostbare Schutzausrüstung nicht für unwichtige Behandlungen vergeuden. Vielleicht ist das, was an Schutzausrüstung da ist, ja auch wirklich bald in den Kranken- häusern vonnöten? Und ja, unsere Schutzausrüstung und unsere Desinfektion sollten wir immer richtig anwenden und das hat schon immer für die Behandlung aller noch so schwer kranken Personen gereicht. Aber dieses möglicherweise hohe Aufkommen der Viren, das möglicherweise ständige maximale Belasten unserer Schutzmaßnahmen und auch die Gewährleistung der 100% richtigen Ausführung in jeder Sekunde unseres Tuns – muss das in dieser Krisenzeit wirklich täglich am lebenden Objekt „getestet“ werden? Sprühnebel ist wie Anhusten. Wir behandeln in unserer Praxis einen hohen Prozentsatz an Kindern, die ja offensichtlich oft Träger sind, obwohl sie keine Symptome zeigen. Wenn wir Kinder behandeln, dann sind die Eltern dabei. Diese sitzen oft zum Händchenhalten innerhalb des 1,5m-Sprühnebelradiusses – wir können nicht auch noch unsere kostbaren Schutzausrüstungen an die Begleitpersonen der Patienten verteilen (... müssten es konsequenterweise aber ja tun ...). Zwar wurden Schulen, Horte, Kindergärten geschlossen und die Schüler mit Aufgaben versorgt, aber ohne Handlungs- anweisungen für die „Freizeit“ mitzugeben. (Jedenfalls brachte unser Kind nur den „Wascht-Euch-ordentlich-die-Hände-Zettel“ mit.) Wir werden fünf Wochen lang nölige Kinder haben, wenn wir konsequent sind und sie nicht zu Freundesverabredungen schicken. Das muss man auch erstmal aushalten lernen! Dass sie ihre Schularbeiten machen, dass sie nicht alleine den Herd anmachen, dass sie nicht mit Streichhölzern spielen oder anderen Blödsinn machen, kann doch nur gewährleistet werden, wenn mindestens ein Elternteil zu Hause ist. Sie sollten ja auch besser nicht zu Oma und Opa gehen – die gehören ja zu einer der Risikogruppen. Nun dürfen die Kinder von Polizei-, Feuerwehr-, Justiz- und Gesundheitsdienstbeschäftigten in die Notbetreuung – aber da durchbrechen wir dann ja auch wieder die Maßnahmen, die eigentlich nötig sind. Ich kann mir nicht vorstellen, dass gerade die, die sich im Gesundheitsdienst engagieren, ihre Kinder guten Gewissens im Not-Hort abgeben können. Dazu kommt, dass es viele private Einrichtungen gibt, für die die bereits vorhandenen Notlösungen gar nicht greifen und die sich jetzt erst einmal damit befassen müssen, wie sie reagieren. Ein großer Teil meiner Mit- arbeiterinnen ist von dieser ungeklärten Kinderbetreuung betroffen oder möchte die Notbetreuung nicht, was ich absolut nachvollziehen und verstehen kann. Sie wollen jetzt doch lieber die Großeltern bemühen. Wo liegt da meine Verantwortung? Beim Schutz der Familien? Beim Aufrechterhalten der Praxis? Und so blöd es klingt: Ich kann nicht einfach schließen. Ich brauch‘ die Sprühnebel- behandlungen, um die Gehälter bezahlen zu können! Auch da habe ich eine Verantwortung. Muss ich meine Mitarbeiterinnen bitten, mir aus Gewissensgründen, aus Verantwortung gegenüber ihren Familien zu kündigen, damit sie Geld vom Amt bekommen (da müsste man auch erst hin, um den Antrag zu stellen ...) und sie nach der Krise wieder einstellen? Es darf doch bei der Ein- dämmung einer Pandemie nicht um Geld und um die Existenz von „Kleinunternehmen“ gehen, oder? Wenn Griechenland nicht wirtschaften kann, dann können unsere Steuergelder da einfach hingeschickt werden. Wenn aber uns drohendes Unheil bevor- steht, eine Krankheit sich ausbreitet, die viele das Leben kosten kann und vor allem auch denen als erstes das Leben kosten kann/wird, die andere Erkrankungen haben, aber deren intensive Betreuung nun ausfallen wird, weil sich das medizinische Personal um die Neuinfizierten kümmern muss – haben wir dann nicht die gleiche Portion Geld zur Verfügung, um uns zu schützen und mit dem Schutz unserer selbst auch andere zu schützen, indem einfach einmal für eine Zeit lang alles eingestellt wird, was nicht nötig ist? (Mir schweben bereits Ideen, wie vorgepackte Grundnahrungs- mittelpakete vor, damit allein das Einkaufen in all seinen Dimen- sionen reduziert werden kann.) Ich bin nicht der Gesundheitsminister, aber ich würde, wenn ich der Gesundheitsminister wäre, bestimmen, - dass alle nicht Notdienst leistenden Zahnarztpraxen schließen, - die Schutzausrüstungen und Desinfektionsmittel zentralisiert werden, - dass ein täglicher zahnärztlicher Notdienst an einer zentralen Stelle von den jeweils eingeteilten Praxen zu leisten ist und - die Zahnärzte und das medizinische Personal in der übrigen Zeit in den Krankenhäusern als Hilfspersonal eingesetzt werden. Hier könnte auch überlegt werden, ob die Altersgrenzen für Risikogruppen bedacht werden, die älteren Zahnärzte also den zahnärztlichen Notdienst übernehmen, während die jüngeren Personen im Krankenhaus tätig werden könnten. Ggf. müsste sogar für diese Gruppe, da sie sich ja in die „Hochrisikogebiete“ des Gesundheitswesens begibt, eine externe Unterbringung außerhalb der eigenen Familie stattfinden. Das ist natürlich alles nicht das, was ich mir wünschen würde. Aber ich hielte es trotzdem für konsequent, so zu handeln! Und müsste nicht das 10 | LEITARTIKEL

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