Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07
zm 110, Nr. 7, 1.4.2020, (672) Interview mit Dr. Guido Elsäßer „VIELLEICHT BENÖTIGT MAN EIN MEHR AN SOZIALEN KOMPETENZEN“ Wie sollte ein bedarfsgerechtes medizinisches Angebot in einem MZEB aussehen und welche Rolle spielt dabei die Zahnmedizin? Dr. Guido Elsäßer: Es ist richtig, neben dem bestehenden System Hausarzt-Facharzt-Krankenhaus Zentren zu errichten, die besonders auf die medizinischen Bedarfe von Menschen mit schweren/komplexen Behinderungen eingehen können. Die Grundvoraussetzung für eine adäquate ärztliche Betreuung ist der interdisziplinäre Austausch und das Wissen um die Lebenswelt der einzelnen Patientinnen und Patienten. In der zahnmedizinischen Betreuung von Menschen mit Behinderung begegnen uns die gleichen Probleme, zahn- medizinisch-fachlich, aber auch in Fragen der Diagnostik und Therapie. Wir dürfen niemals eine zahnärztlich angezeigte Therapie vorenthalten, auch wenn die Umsetzung oft mühsam ist, aber auch nicht übertherapieren, wenn dadurch kein Benefit für den Patienten erreicht werden kann. Vielleicht isst ein Patient mit Behinderung, der sich nicht mitteilen kann, nur deshalb so schlecht, weil ihn eine Aphthe plagt oder eine Karies nicht behandelt wurde. Wäre es deshalb nicht sinnvoll, erst einen Zahnarzt hinzuziehen, bevor in Vollnarkose eine Magenspiegelung durchgeführt wird? Müssen Zahnärzte, die sich im MZEB engagieren wollen, einen Qualifikationsnachweis erbringen? Nein. Die eigentliche zahnärztliche Tätigkeit unterscheidet sich ja nicht von der Behandlung von Patienten ohne Behinderung. Vielleicht benötigt man ein Mehr an sozialen Kompetenzen als in der Nichtbehindertenbehandlung. Teamfähigkeit, Menschenkenntnis und ein hohes Maß Einfühlungsvermögen sind wichtige Voraussetzungen. Behinderung sollte als eine Facette menschlicher Seinsweise verstanden werden. Wie können sich Zahnärzte fit für die Arbeit im MZEB machen? Sie könnten Mitglied in der AG für Menschen mit Behinderung und besonderem medizinischem Betreuungsbedarf (AGZMB) innerhalb der DGZMK werden. Die nächste Jahrestagung findet am 7. November in Karlsruhe statt (www.agzmb.de) . Zahnärzte, die bereits über Erfahrungen in der Behinderten- zahnmedizin verfügen, können Mitglied in der Deutschen Gesellschaft für Medizin für Menschen mit geistiger oder mehr- facher Behinderung (DGMGB) werden. In dieser ärztlichen Gesellschaft gibt es eine spezielle Sektion „Zahnmedizin“ (www.dgmgb.de) . Wer einfach mal „schnuppern“ möchte, kann ganz nieder- schwellig als Helfer die Special-Smiles-Untersuchungen von Special Olympics unterstützen (www.specialolympics.de) . Als fundierter Einstieg sind eintägige Intensivkurse Behinderten- zahnmedizin des Zahnmedizinischen Fortbildungszentrums in Stuttgart empfehlenswert. Der nächste findet statt am 27. Juni (www.zfz-stuttgart.de) . Außerdem bieten verschiedene Landeszahnärztekammern regelmäßig Fortbildungen zum Thema an, zum Beispiel die Zahnärztekammer Westfalen-Lippe gemeinsam mit der Konrad-Morgenroth-Fördergesellschaft (www.kmfg.de) . Wie könnte eine Zusammenarbeit mit einem MZEB aussehen? Vier Modelle wären denkbar: \ Kooperationsvertrag: Wünschenswert wäre die Mög- lichkeit, Kooperationsverträge zwischen Zahnärzten und MZEB abzuschließen, wie es sie für Pflegeeinrichtungen gibt. Das wird in naher Zukunft wohl nicht umsetzbar sein, da hierfür die gesetzlichen Grundlagen noch geschaffen werden müssten. \ Anstellung: MZEB könnten Zahnärzte einstellen und die Zahnmedizin fest in ihr Diagnose- und Therapiespektrum aufnehmen. Dies erforderte jedoch hohe finanzielle Investitionen für einen zahnärztlichen Behandlungsstuhl und die notwendigen technischen Einrichtungen. In Anbetracht dessen, dass die MZEB meist nur auf zwei Jahre eine Ermächtigung besitzen und die überwiegende Anzahl von MZEB immer noch finanziell an ihrer „Mutterorganisation“ (wie Krankenhaus, Behinderteneinrichtung) hängen, wird man diesen Schritt, wenn überhaupt, nur selten wagen. \ Besuche: Realistisch umsetzbar sind zahnärztliche Unter- suchungen in Räumen eines MZEB. Der Zahnarzt rechnet über die eGK Besuchsgebühren und die entsprechenden Zuschläge des BEMA ab. So entstehen keine Kosten für das MZEB und gut organisiert kann auch der Zahnarzt wirtschaftlich arbeiten. Die Behandlung müsste allerdings in einer Praxis oder Klinik erfolgen. \ Netzwerk: Das MZEB überweist wie an andere Fachärzte auch an eine geeignete Zahnarztpraxis. Die Patienten werden dann nicht im MZEB, sondern in der Zahnarztpraxis untersucht und gegebenenfalls behandelt. Aus meiner Sicht ist eine Kombination aus regelmäßigen Besuchen im MZEB und der anlassbezogenen Vorstellung in einer geeigneten Zahnarztpraxis zur weiterführenden (Röntgen-)Diagnostik und Behandlung die aktuell beste Variante. Die Fragen stellte Gabriele Prchala. DR GUIDO ELSÄßER ... ist Stellvertretender Vorsitzender des BZÄK-Ausschusses Zahnärztliche Betreuung von Menschen mit Behinderungen, Referent für Behindertenzahnmedizin der LZK Baden-Württemberg und arbeitet als niedergelassener Zahnarzt eng mit dem Heimärztlichen Dienst einer großen Behindertenwohneinrichtung in Kernen-Stetten zusammen. Foto: privat 30 | POLITIK
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