Zahnärztliche Mitteilungen Nr. 07
zm 110, Nr. 7, 1.4.2020, (688) war, dass sich dieses Intervall verkürzt. Daraus schlussfolgerten sie, dass es sich um eine unterdiagnostizierte Erkran- kung handelt, die stärker ins Bewusst- sein der Ärzte und Zahnärzte gerückt werden sollte. In 40 Prozent der Fälle stellt der Haus- arzt oder der Internist die Diagnose [Cordero, Barkan, 2008]. In Abhängig- keit von der Dominanz der Symptome kann eine Akromegalie aber auch vom Augenarzt (bei Einschränkungen des Gesichtsfeldes, etwa bei Hemianopsie), vom Pulmologen (bei Schlafapnoe), vom Gynäkologen (bei Infertilität, bei Störungen des Menstruationszyklus), vom Neurologen (bei Karpaltunnel- syndrom, bei Kopfschmerzen) oder – wie in unserem Beispiel – vom Zahn- arzt diagnostiziert werden. Kreitschmann-Andermahr et al. gingen der Frage nach, wie viele der Akro- megalie-Patienten orodentale Patholo- gien aufweisen. In einer Auswertung von 145 Fragebögen gaben 80,7 Pro- zent der Patienten orodentale Patholo- gien wie eine Vergrößerung der Zunge (57,9 Prozent), lückig stehende Zähne (42,8 Prozent) und eine mandibuläre Hyperplasie (24,1 Prozent) an. In ihrer Untersuchung konnten die Autoren zeigen, dass orodentale Pathologien seltener auftreten, wenn zwischen dem Auftreten der ersten klinischen Symptome der Akromegalie und der Diagnosestellung weniger als zwei Jahre vergehen [Kreitschmann-Andermahr et al., 2018]. Im vorgestellten Fall konnte der Pa- tient keine Aussage dazu machen, wann er zum ersten Mal gemerkt hatte, dass sich seine Okklusion ver- ändert. Er beschrieb den Prozess als schleichend und aufgrund des redu- zierten Zahnbestands schwer beurteil- bar. Eine Vergröberung/Vergrößerung seiner Hände hatte er ein Jahr vor Diagnosestellung bemerkt, dem aber keinen Krankheitswert zugemessen. Da das Akromegalie-assoziierte, patho- logische Wachstum des Unterkiefers aus periostaler Knochenapposition und Reaktivierung subkondylärer Wachstumszentren resultiert, handelt es sich um einen sich über Jahre er- streckenden Prozess [Tornes, Gilhuus- Moe, 1986]. Wir gehen davon aus, dass der Krankheitsprozess unseres Patien- ten auch über mehrere Jahre – von ihm unbemerkt – verlaufen ist. Nach erfolgreicher Therapie einer Akromegalie mit Normalisierung der Hormonspiegel bilden sich einige Ko- morbiditäten der Erkrankung partiell oder komplett zurück. Sofern keine di- latative Kardiomyopathie vorliegt, tritt eine Besserung der kardiovaskulären Funktion ein [Colao et al., 2019]. Auch respiratorische Einschränkungen, die durch Verdickungen der Mukosa und der Weichgewebe der oberen und der unteren Atemwege verursacht sind und dazu führen, dass 45 bis 87,5 Pro- zent der Akromegalie-Patienten unter einer Obstruktiven Schlafapnoe (OSA) leiden [Vanucci et al., 2013], sind par- tiell oder komplett nach Remission der Akromegalie reversibel [Wolters, 2019]. Die Normalisierung der Hormon- spiegel stoppt das exzessive Wachstum der Akren. Im Gegensatz zur Rückbil- dungstendenz der zervikofazialen Weichgewebshypertrophie persistiert die mandibuläre Hyperplasie. Eine Normalisierung der Hormon- spiegel ist die Voraussetzung für eine chirurgische Korrektur der skelettalen Dysgnathie [Katznelson et al., 2011]. Bei der Operationsplanung sollte ein Jahr Latenz einkalkuliert werden für die Rückbildung der hypertrophen zervikofazialen Weichteile (Lippen, intraorale, Larynx- und Pharynx- Mukosa), die ein nicht unerhebliches anästhesiologisches Risiko darstellen [Whelan et al. 1982]. Die Makroglossie scheint den Rück- bildungsvorgängen der Weichgewebe nicht zuverlässig zu folgen, so dass unter Umständen eine Zungenreduk- tionsplastik erforderlich werden kann. Der Zeitpunkt dafür wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Einige Autoren befürworten eine Reduktionsplastik im Rahmen der Umstellungsosteoto- mie [Ross, 1974], andere sehen eine Abb. 7: präoperatives FRS Abb. 8: postoperatives FRS Foto: MKG-Chirurgie, Universitätsklinikum Halle Foto: MKG-Chirurgie, Universitätsklinikum Halle 7 8 ZM-LESERSERVICE Die Literaturliste kann auf www.zm-online.de abgerufen oder in der Redaktion ange- fordert werden. 46 | ZAHNMEDIZIN
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